Pseudo-Methodenkritik in Massenmedien als versteckter Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit

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Die Wissenschaftsfreiheit wird in vielen verschiedenen Formen angegriffen. Dieser Blogpost behandelt eine spezielle Form, die äußerlich als Methodenkritik formuliert wird, die tatsächlich aber die Kriterien einer wissenschaftlichen Methodenkritik nicht erfüllt. Im Endeffekt ist diese „Methodenkritik“ eine kaschierte ad-hominem-Attacke und ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit.

Einordnung

Die Wissenschaftsfreiheit, namentlich die Forschungsfreiheit, schützt nicht nur das Recht von Forschern, ihre Untersuchungsgegenstände frei zu wählen, sondern auch die freie Wahl der eingesetzten Untersuchungsmethoden. Alle größeren Forschungsgebiete entwickeln heute spezialisierte Untersuchungsmethoden, gerne auch konkurrierende Methoden. D.h. der wissenschaftliche Prozeß betrifft nicht nur die Sachebene, sondern auch die Metaebene der Methoden, mit denen Sachfragen untersucht werden.

Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit aus der Öffentlichkeit heraus betreffen i.d.R. die untersuchten Sachfragen, z.B. ob es genug Wohnraum für Einwanderer gibt oder wieviele Geschlechter es gibt. Die Angriffe sind typischerweise dadurch motiviert, daß die Forschung ideologische Dogmen widerlegt oder das Potential dazu hat. Man kann jetzt mehrere Typen von Angriffen unterscheiden, z.B. Bedrohungen, ad-hominem-Attacken oder „Widerlegungen“ mit unwissenschaftlichen Meinungen.

Pseudo-Methodenkritik

Eine spezielle Form von Angriff besteht darin, die Methoden, mit denen unerwünschte bzw. drohende Erkenntnisse gewonnen werden, als verfehlt und unwissenschaftlich zu bezeichnen, also die Metaebene zu kritisieren. Ein Musterbeispiel ist ein kürzlich in der FAZ Cheema (2023) publizierter Angriff von Saba-Nur Cheema und Meron Mendel auf die Konferenz „Migration steuern, Pluralität gestalten“(1). Der Artikel greift zwei methodische Aspekte an: Erstens wird der Konferenz vorgeworfen, sie verfolge eine politische Agenda, betreibe „aktivistische Wissenschaft“ und stelle die „öffentlicher Aufmerksamkeit über die objektive Forschung“. Zweitens wird die Auswahl der Sprecher kritisiert, weil es sich überwiegend um Praktiker handelt, die keine wissenschaftlichen Publikationen vorweisen können.

Diese Kritik betrifft ausschließlich die Methoden, die den Teilnehmern attestiert werden. Kritik an den sachlichen Ergebnissen der Konferenz kommt nicht vor, was typisch für diese Form von Angriffen ist. Suggeriert wird natürlich, wegen methodischer Mängel seien die sachlichen Ergebnisse, von denen der Leser nichts erfährt, ebenfalls unbrauchbar.

Ein Vorwurf, irgendeine Forschungsaktivität sei methodisch defizitär, kann natürlich im Einzelfall zutreffen, sofern plausibel begründet. Derartige qualifizierte Kritik ist Teil des wissenschaftlichen Prozesses auf der Metaebene. Im Fall von Cheema (2023) und ähnlichen Methodenkritiken deuten mehrere starke Indizien darauf, daß es sich nicht um eine wissenschaftliche Methodenkritik handelt, sondern um eine Pseudo-Methodenkritik, deren Hauptzweck darin besteht, den Ruf der kritisierten Forscher zu schädigen. Diese Indizien und die dabei angewandten Argumentationsmuster werden i.f. genauer untersucht.

Kritikpunkt „aktivistische Wissenschaft“

Der Begriff „aktivistische Wissenschaft“ ist sehr unscharf, er ist bereits in einer Reihe von Veröffentlichungen qualifiziert diskutiert worden. Genaugenommen kann nur ein Wissenschaftler, nicht „die Wissenschaft“, aktivistisch sein; in diesem Sinne interpretiere ich die Begriff im folgenden. Üblicherweise versteht man unter einem aktivistischen Wissenschaftler jemanden, der sich als Wissenschaftler an öffentlichen Debatten mehr oder weniger lautstark beteiligt und bei politischen Streitfragen einseitig Partei ergreift. Bei Klimafragen werden aktivistische Wissenschaftler regelmäßig zu Talkshows gebeten und fast schon als Heilsbringer verehrt. Aktivist ist hier also positiv konnotiert. Bei Migrationsproblemen verhält es sich eher umgekehrt, auch Cheema (2023) verwendet „aktivistisch“ eindeutig negativ. Eine Begründung, warum Aktivismus hier negativ ist, fehlt. Der Eindruck drängt sich auf, daß die Teilnahme an öffentlichen Debatten genau dann negativ geframet wird, wenn die Argumente eigenen Überzeugungen widersprechen.

Kritikpunkt „Verfolgen einer politischen Agenda“

Dieser Kritikpunkt ist ebenfalls sehr unscharf und überlappt teilweise mit dem Kritikpunkt „aktivistische Wissenschaft“. Im Detail bedeutet dieser Vorwurf i.d.R., daß die untersuchten Hypothesen voreingenommen gewählt wurden, die Evidenz für die Bestätigung der Hypothesen handwerkliche Mängel aufweist, und die falschen Schlüsse aus den Ergebnissen gezogen werden. Typisch für diese Angriffsform ist, daß außer dem pauschalen Vorwurf keinerlei Detailargument, das den Vorwurf präzisiert und belegt, präsentiert wird. Ein besonders starkes Indiz für eine Pseudo-Methodenkritik liegt vor, wenn die Kritik überhaupt nicht auf die untersuchten Sachfragen eingeht, denn eine Methodenkritik kann nicht abstrakt bleiben, sondern muß sich auf konkrete Forschungsthemen und -Fragen und die Eignung oder eben Nichteignung zur Beantwortung dieser Fragen beziehen.

Das Argument, eine qualifizierte Methodenkritik sei zu platzraubend und in dem vorhandenen Format nicht unterzubringen, überzeugt nicht: wenn mit den gegebenen Platzbeschränkungen nur ein belegloses Herumgeraune möglich ist, dann sollte man ganz darauf verzichten.

Kritikpunkt „kein Streben nach objektiver Forschung“

Der weitere Vorwurf, zu wenig nach „objektiver Forschung“ (gemeint sein dürften objektive Erkenntnisse) zu streben und die Objektivität der öffentlichen Aufmerksamkeit zu opfern, ist eine Mischung aus den beiden vorstehenden Kritikpunkten. Enthalten ist zum einem der unbelegte Vorwurf, minderwertige Forschung zu betreiben.

Der Vorwurf, nach öffentlicher Aufmerksamkeit zu streben, ist absurd: danach sollte Wissenschaft immer streben. Die meisten Wissenschaften leiden eher darunter, keine öffentliche Aufmerksamkeit zu erhalten, denn leider entscheidet die Öffentlichkeit (genauer gesagt die Massenmedien) selber darüber, welchen Themen und Erkenntnissen man Aufmerksamkeit zukommen läßt – ist hier die Öffentlichkeit zu kritisieren, weil sie unerwünschte Erkenntnisse zur Kenntnis nimmt, oder ein Wissenschaftler, der diese Erkenntnisse geliefert hat?

Der Vorwurf, nicht nach objektiver Forschung zu streben, ignoriert ferner den für die Sozialwissenschaften typischen Streit, ob es überhaupt so etwas wie objektive Erkenntnisse gibt. U.a. die verbreitete feministische Standpunkttheorie widerspricht dem deutlich.

Kritikpunkt „Beteiligung von Praktikern“

Behauptet wird, daß kein „wissenschaftlicher Mehrwert“ zu erwarten ist, wenn man Praktiker, die „keine wissenschaftliche Expertise zum Konferenzthema“ bzw. Publikationen vorweisen können, am Forschungsprozeß beteiligt. Diese These ist für jemanden, der aus den angewandten Wissenschaften stammt, abenteuerlich absurd. Die Erfassung von Praxiserfahrungen ist unverzichtbar, weil man an einer Universität leider nicht die komplexe Realität simulieren kann.

Der ebenfalls die personelle Besetzung betreffende Kritikpunkt, daß „kein einziger Referent aus dem Ausland eingeladen“ wurde, wirkt an den Haaren herbeigezogen: welche Probleme innerhalb von Deutschland auftreten bzw. zu lösen sind, kann man auch von innen beurteilen. Diese Kritik ist außerdem ein direkter Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit, denn die besteht u.a. darin, frei in der Wahl der Personen zu sein, mit denen man offene Fragen diskutiert bzw. kooperiert.

Das rein quantitative Argument, nicht noch mehr Dozenten beteiligt zu haben, ist sinnlos, solange man nicht begründet, für welche Forschungsfragen zusätzlichen Beiträge nützlich oder – warum auch immer – sogar unverzichtbar waren. Ferner kann man Dozenten, die man gerne bei einer Veranstaltung dabei gehabt hätte, keine Einberufungsbescheide schicken.

Fazit

Eine spezielle, häufig auftretende Form von unsachlichen Angriffen auf Wissenschaftler ist pauschale, unqualifizierte Methodenkritik. Vier Argumentationsmuster wurden oben vorgestellt, die typisch für diese Pseudo-Methodenkritik sind. Gemeinsam ist allen das Arbeiten mit schwammigen Begriffen, d.h. der konkrete Kritikpunkt bleibt unklar; ferner wird die Kritik gar nicht oder allenfalls sehr unterkomplex begründet.

Erschwerend kommt hinzu, daß die Kritik in einer Publikumszeitschrift verbreitet wird. Die meisten Leser werden keine eigene Forschungserfahrung haben, können Forschungsmethoden nicht bewerten und können die Substanzlosigkeit der Methodenkritik kaum erkennen. Provoziert wird hier der klassische Denkfehler, von der Autorität der Autoren auf die Korrektheit von Behauptungen zu schließen.

Anmerkungen

(1) Eine weitere aktuelle Studie, die ideologisch unerwünschte Erkenntnisse präsentierte und die massive pauschale Methodenkritik auf sich zog, ist Osterloh (2023). Eine Zusammenfassung der Angriffe findet sich in Fontana (2023). Ob eine qualifizierte Methodenkritik – die völlig legitim ist – vorliegt oder eine Pseudo-Methodenkritik, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Deshalb analysieren wir die Angriffstechnik hier nur an einem prägnanten konkreten Beispiel.

 

Quellen