Die „EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte“ gefährdet wissenschaftliche Publikationen

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Bereits Ende Mai letzten Jahres wurde die EU-Verordnung Nr. 1115/2023 (1) beschlossen, die für große
und mittlere Unternehmen ab dem 30. Dezember 2024 verbindlich gültig werden soll, für Kleinst-
und kleine Unternehmen ab dem 30. Juni 2025. Für die Umsetzung und Durchführung der
Verordnung in Deutschland ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) zuständig.(2)
Allerdings hat die EU-Kommission gerade eine Verschiebung dieser Fristen um 12 Monate
vorgeschlagen, weil die Umsetzung Probleme bereitet. Dadurch wurde nun zumindest größere
Aufmerksamkeit für das Vorhaben geweckt, das vorher nicht so bekannt war.

Das sollte genutzt werden, um im Bestfall die Verordnung zu Fall zu bringen, mindestens aber
deutlich zu korrigieren. Tatsächlich kreiert das Vorhaben nämlich nicht nur für die Wirtschaft in ganz
verschiedenen Bereichen weitere bürokratische Hindernisse, die der Erholung in allgemein
schwierigen Zeiten gerade entgegenwirken, sondern betrifft in einem wichtigen Punkt auch einen
weit über ökonomische Aspekte hinausgehenden Bereich. Die Rede ist natürlich vom letztlich aus
Holz hergestellten Papier. Papier ist aber nötig für die Herstellung von Büchern und anderen
Publikationserzeugnissen. Da dies nicht nur für belletristische, sondern auch und gerade für
wissenschaftliche Werke gilt, tangiert diese EU-Verordnung in ihrer Konsequenz auch die
Wissenschaft und deren Freiheit.

Den Aufwand, der mit der Befolgung und Umsetzung der Verordnung verbunden ist, werden sich
nämlich nur noch wenige finanziell gut aufgestellte Verlagshäuser leisten können. Gerade für kleine,
aber auch mittelgroße, Verlage wird sie hingegen zu einer enormen Belastung werden. Dies wird im
Ergebnis entweder zu deren Pleite oder vorherigen präventiven Geschäftsaufgabe führen, bzw.
alternativ wird der Preis eines für eine Publikation vom Autor geforderten Druckkostenzuschusses
und/oder der Preis, der vom Käufer eines solchen Werkes entrichtet werden muß, ins Unermeßliche
steigen. Das bedeutet, daß ein Wissenschaftler sich eine Publikation eigener Forschungsergebnisse
oder den privaten Erwerb einer solchen immer weniger wird leisten können. Und wer die teils jetzt
schon niedrigen und immer weiter sinkenden Etats sowohl von Förderinstitutionen als auch von
Universitäten und ihren Bibliotheken im Auge hat, weiß, daß sich auch diese dann überlegen werden,
was noch angeschafft werden kann.

Natürlich wird das der Propagierung von ausschließlichen Onlinepublikationen zusätzlich Vorschub
leisten. Bloß, ist das wirklich eine sinnvolle Lösung?

Genau durchdacht muß die Antwort hierauf ein klares „Nein!“ sein. Die juristische oder aus
wirtschaftlichen Gründen zumindest faktische Abschaffung von Büchern verengt bereits den
Meinungskorridor (wenige Großverlage sind auch viel einfacher zu kontrollieren bzw. unter Druck zu
setzen), außerdem lassen sich rein digitale Inhalte ganz bequem unauffällig verändern oder sogar
einfach löschen (nicht nur durch staatliche Akteure, sondern z.B. auch durch Hacker). Das gilt
natürlich nicht nur für Wissenschaft, sondern grundsätzlich für alles, gerade die Wissenschaft ist
davon aber auch und ggf. sehr stark betroffen. Außerdem betrifft das Problem nicht nur
„umstrittene“ Aussagen, die vielleicht politisch in bestimmten Kontexten nicht mehr erwünscht sind,
sondern vieles mehr.

Ein ganz zentraler Punkt ist dabei gerade die Nachhaltigkeit. Buchpublikationen des 18. oder frühen
19. Jh. haben in manchen Fächern teilweise einen enormen Quellenwert, weil darin abgebildete und
besprochene Gegenstände teils heute nicht mehr realiter verfügbar sind.(3) Da es die Bücher auf Papier
noch in gut ausgestatteten Bibliotheken gibt, kann man sie aber heute noch lesen. Andererseits gab
es in den letzten zwei Jahrzehnten bereits zahlreiche wissenschaftliche Bücher, deren Tafeln oder
umfangreiche Tabellen aus Kostengründen nur auf CD-ROM publiziert wurden. Das wurde damals als
tolle Innovation und angebliche Sicherung für die Ewigkeit gefeiert – aber genau die sind heute oft
schon nicht mehr benutzbar und lesbar.

Stattdessen werden solche Daten heute teils via Link im Buch als online-Publikationen vorgehalten
oder gleich eine reine Onlinepublikation angestrebt. Auf den ersten Blick mag es so scheinen, als
würde dadurch das Problem der allfälligen technischen Weiterentwicklung lösbar. Allerdings
verkennt eine solche Sicht, daß so etwas auf Dauer viele Ressourcen verschlingt, allein durch die
nicht unerheblichen, umsatzunabhängigen und tendenziell steigenden laufenden Kosten für die EDV.
Außerdem entwickelt sich die Technik natürlich auch im Hinblick auf Onlinepublikationen weiter, d.h.
die Daten müßten ständig gewartet und den neuen Bedingungen angepaßt werden, um überhaupt
nutzbar zu bleiben. Das verursacht dann wieder Personalkosten, die sicherlich irgendwann auch zu
hoch werden. Ein einmal gedrucktes Buch ist hingegen ohne weitere Probleme dauerhaft nutzbar.

Wohlgemerkt: es geht keinesfalls um eine Abschaffung von Open Access. Das ist sinnvoll und nützlich,
gerade auch für Forscher aus dem Globalen Süden. Worum es aber geht, ist die langfristige Sicherung
einmal erworbenen Wissens. Das Problem der nachhaltigen Datensicherung ist bereits schwierig
genug für Datenbanken mit komplexen Suchfunktionen und dergleichen, was definitiv nicht gedruckt
werden kann (z.B. 3D-Modelle von Objekten und Architektur, digitale Geländemodelle, etc.).
Natürlich gibt es dafür schon länger einschlägige Initiativen seitens der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) (4) oder des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) (5).

Diese können aber sinnvollerweise nicht alles übernehmen, denn auch deren Budget ist begrenzt. Für
Publikationen, die problemlos als Buch oder Broschüre gedruckt werden könnten, sollte man deshalb
nicht auch noch Schwierigkeiten leichtfertig durch Verordnungen provozieren, wo es sie bisher nicht
gibt. Im Optimalfall sollte es diese also gedruckt und Open Access geben; das gedruckte Werk, das für
die dauerhafte Archivierung am besten geeignet ist, hat dabei in jedem Fall den Vorrang. Es ist daher
unbedingt notwendig, daß Verlage sich deren Publikation weiterhin ohne Existenzgefährdung leisten
können.

Alexandra von Lieven

(1) https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32023R1115
(2) https://www.ble.de/DE/Themen/Wald-Holz/Entwaldungsfreie-Produkte/Lieferketten_node.html
(3) Zu erinnern wäre hier etwa an die auf der napoleonische Expedition nach Ägypten 1798-1801 beruhende und
1809-1828 in Erstauflage erschienene Description de l’Égypte, die eine Reihe von Monumenten zumindest
teilweise wiedergibt, die bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts spurlos abgerissen wurden.
(4) https://risources.dfg.de/
(5) https://idai.world/