Um die Sprachpolizei und Themen wie Gendersprache ist es in den letzten Wochen stiller geworden. Vermutlich merken immer mehr Menschen, dass es in der Welt wichtigere Themen gibt. Aber es gibt Habitate, in denen die Sprachpolizisten sich – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit – immer noch nach Herzenslust austoben können z. B. die Wissenschaftsverlage. Große Verlagshäuser wie Elsevier und Springer und Organisationen wie das Institute of Electrical and Electronics Engineer (IEEE) – eine Berufsvereinigung von Ingenieuren und anderen Wissenschaftlern – geben umfangreiche Leitfäden für „inklusive“ Sprache heraus. Dabei gehen die Herausgeber unterschiedlich vor. Während die Leitfäden bei IEEE (https://journals.ieeeauthorcenter.ieee.org/wp-content/uploads/sites/7/IEEE-Editorial-Style-Manual-for-Authors.pdf) unfassbare 67 Seiten und bei Springer Nature (https://resource-cms.springernature.com/springer-cms/rest/v1/content/26176720/data/v2) immerhin noch 37 Seiten umfassen, geben sich die Kollegen von Elsevier (https://www.elsevier.com/researcher/author/book-author#4-inclusion-and-diversity) deutlich schlanker und definieren auf wenigen Seiten, was sie unter „inklusiver“ und „gerechter“ Sprache verstehen, was allerdings dadurch erkauft wird, dass auf viele externe Quellen der Inspiration verwiesen wird. Zusätzlich quält Elsevier Autoren und Gutachter seit einiger Zeit mit der Erklärung von DEI-Angaben (Diversity, Equity, and Inclusion) u.a. zur Race bzw. Rasse (ein Ausdruck allerdings, der im Deutschen strikt zu vermeiden ist, es ist halt schwierig…).
In der Sache sind sich jedoch alle einig: Die zum Teil über Jahrzehnte oder Jahrhunderte gewachsene (Fach-)Sprache muss korrigiert werden, ist sie doch durchsetzt von unangemessenen, diskriminierenden Termini, die benannt und korrigiert werden müssen. Das geht leider nicht, ohne die Ausdrücke selbst in den Mund zu nehmen, weshalb es auch an der obligatorischen Triggerwarnung nicht mangelt („Content Warning: Please note that this guide includes the uncensored use of offensive terms for explanatory purposes, which may be difficult to read for people impacted by the use of these terms as slurs.“)
Ein paar Beispiele zu den eingeforderten Sprachregelungen: Die in der Informatik üblichen Fachbegriffe White- und Blackbox Testing sind „non inclusive“ und sollen durch „Glass“ und „Closed Box“ ersetzt werden. Das ist zwar nicht dasselbe, aber wer bei dieser Art der Farblehre an Rassentheorie denkt, dem ist mit Logik sowieso nicht mehr zu helfen. Springer empfiehlt, kulturell konnotierte Begriffe wie „Christian Name“, aber auch „First / Last Name“ durch Konstrukte wie „Given Name“ zu ersetzen. Fachartikel in medizinischen Fächern zum Thema Schwangerschaft sollen selbstverständlich nicht den Begriff „Frau“ beinhalten – allenfalls mit dem Hinweis darauf, dass auch Personen, die sich nicht als Frau identifizieren, gebären können und daher ebenso (mit?!) gemeint sind. Auffällig ist, dass in diesen Fragen in der Regel von den politischen Aktivisten über die Köpfe von scheinbar oder tatsächlich Betroffener hinweg agiert wird. Das hat Tradition. Als 2021 die SW-Plattform GitHub den sogenannten „Master Branch“ durch den „Main“ Branch ersetzte, weil das Wort „Master“ angeblich Sklavenhaltung evoziere, hat das der PoC Dwayne Slater zum Anlass genommen, mit einer Petition (vergeblich) ebendies zu verhindern und u.a. zu folgender Erklärung veranlasst (https://www.change.org/p/github-do-not-rename-the-default-branch-from-master-to-main/c/794929470):
„To see GitHub use the color of my skin to make meaningless change is a slap in the face. There are more useful causes to bring to attention, words are not the issue, police brutality in the United States is the issue. To attempt to make this statement is to take advantage of the situation, it does nothing but hurt BLM as a movement and GitHub as a platform.“
IEEE und Springer verweigern sogar die korrekte Bezeichnung von Wissenschaftlern in ihren Biographien als Chairman oder Chairwoman, weil – Sie ahnen es – nicht inklusiv. Diskussionen sind sinnlos. Der Autor dieser Zeilen machte einem Herausgeber einer IEEE Zeitschrift gegenüber in der Sache vor kurzem geltend, dass das Inklusionsargument bei der Bezeichnung einer konkreten Person (seiner selbst) rein logisch schon keinen Sinn ergeben würde, ohne Erfolg.
Allerdings – und das ist wichtig zu verstehen – es geht nicht um Argumente und Logik, sondern um Macht. Die Wissenschaftsverlage befinden sich in nämlich in einer einzigartigen Machtposition gegenüber dem einzelnen Wissenschaftler, die sie schamlos ausnützen können. In der Regel schlägt die Sprachpolizei zu, nachdem der Artikel durch den Peer-Review und Begutachtungsprozess gegangen ist und bereits angenommen wurde. Leider müsse man vor einer Veröffentlichung zwingend noch ein paar sprachliche Unsauberkeiten beseitigen. Zu diesem Zeitpunkt kann man dann allenfalls noch die Publikation in Gänze zurückziehen. Diese Form der Haltung kann man sich aber nur als auf Lebenszeit verbeamteter Lehrstuhlinhaber leisten – in der Regel haben Nachwuchswissenschaftler diese Wahlfreiheit nicht, weil ihre Karriere von einer ausreichenden Anzahl an Publikationen in den richtigen Fachzeitschriften abhängt. Als private Unternehmen bzw. Organisationen können die Verlage und Organisationen wie IEEE natürlich von der Vertragsfreiheit Gebrauch machen und insofern besteht hier kein Verstoß gegen die Wissenschaftsfreiheit im engeren juristischen Sinn. Als integraler Bestandteil der wissenschaftlichen Community sollten die Verlage aber die Wissenschaftsfreiheit befördern und nicht autoritär beschneiden. Man könnte das Ganze als Irrsinn einer über das anfängliche Ziel hinausgeschossenen politischen Blase von Akteuren abtun, wäre es nicht so ernst. Der Schaden, den diese Auswüchse anrichten ist nämlich gleich mehrfach: Erstens wird etablierte Fachsprache unnötig verwässert. Zweitens wird Wissenschaft einseitig politisiert. Und drittens missbraucht hier eine winzige Minderheit, die eine Wächterfunktion innehat, ihre Macht – ein klarer Fall von Despotie.
Allerdings sollten die Akteure aufpassen, ob sie sich nicht das eigene Geschäftsmodell langfristig ruinieren. Denn arXiv, ein freier Dokumentenserver für Preprints aus den Bereichen Physik, Mathematik, Informatik, Statistik, Finanzmathematik und Biologie, versteht unter „Inclusiveness and Respect“, dass man ohne Ansehen von Geschlecht, Ethnie, usw. publiziere, also eine Selbstverständlichkeit (ganz im Sinne von Color Blindness des großen amerikanischen Bürgerrechtlers Martin Luther King Jr.) und sieht dabei von detaillierten Sprachregulierungen und Sprachzensur ab. Vielleicht werden also in Zukunft noch mehr Wissenschaftler hier Asyl suchen. Es wäre zu wünschen.