Ahnungslos, haltungsvoll. Über den Mangel an Differenzierungsvermögen nicht nur in der Provinz

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Teaser: Jonathan Josten hat mir in einem Beitrag der Siegener Zeitung unterstellt, das AfD-Angstbild des fundamentalistischen, dummen, gewaltbereiten, ungebildeten, kriminellen und fundamentalistischen Arabers und Migranten zu verbreiten. Anders gesagt: Josten wirft mir in seinem Beitrag Rassismus bzw. Ausländerfeindlichkeit vor. https://www.siegener-zeitung.de/kultur/regional/siegen-eine-wahre-siegener-geschichte-ueber-rassismus-und-cancel-culture-BWF7KMZ7NFFNVF5VWKPAVXRJLY.html. Solche Entgleisungen sind ehrverletzend, und sie sind typisch für eine bestimmte Form des woken Journalismus.

Josten fragt, warum ich ,unreflektiert‘ ein ,solches Bild von Einwanderern verbreite‘. Dieses ,Bild‘ – in der Online-Ausgabe ist zweimal von einem (muslimischen) „Angstbild“ die Rede, im Text außerdem von einem „Feindbild, das die AfD tagtäglich serviert“ ‒ erläutert Josten als das Bild ,des fundamentalistischen, dummen, gewaltbereiten Arabers‘ sowie als Bild ,des ungebildeten, kriminellen und fundamentalistischen Migranten‘. Es steht außer Frage, dass Josten mir vorwirft, dieses Bild zu haben und jedenfalls zu verbreiten. Sein Vorwurf lautet: „Ein solches Bild als erwiesen weiterzutragen, bedeutet, Diskriminierungen Vorschub zu leisten.“

Dieser Vorwurf ist grotesk und ehrenrührig. Ich habe im Interview gesagt, dass Sarrazin Recht hat mit Thesen wie der, Ausländer begingen relativ gesehen mehr Straftaten als Deutsche, oder dass Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund im Durchschnitt schlechter gebildet seien als diejenigen ohne. Aber wer so etwas sagt, sagt eben gerade nicht, was die Rede vom ,Angstbild‘ suggeriert, dass nämlich ,der Migrant‘ oder ,der Ausländer‘ so sei, also alle Migranten oder alle Ausländer. So sprechen rechtsradikale Menschen, das ist ausländerfeindlich und verdient schärfste Kritik. Aber wenn Josten den Hinweis auf die durchschnittlich schlechtere Schuldbildung von Muslimen in einen Topf schmeißt mit der Behauptung, ,der‘ Ausländer sei ,dumm‘ und ,ungebildet‘, macht er exakt das, was er der AfD vorwirft: Er polemisiert (von ,dumm‘ spricht Sarrazin nicht), und er pauschalisiert da, wo es zu differenzieren gilt.

Besonders irreführend ist dieser Mangel an Differenzierung dort, wo Josten schreibt: „Das was Sarrazin sage und schreibe, so Schönecker, seien nun mal Tatsachen.“ Aber das habe ich nicht nur nicht gesagt, das ist das Gegenteil von dem, was ich gesagt habe. Ich habe gesagt, dass die (oder viele) der empirischen Thesen Sarrazins (z. B. über die durchschnittliche schlechtere Bildung von Muslimen usw.) stimmen, und ich habe gesagt, dass die Frage, woran das liege und was daraus normativ folge, damit noch gar nicht entschieden ist. Man muss also unterscheiden zwischen der Frage, was die empirischen Fakten sind, wie man sie erklären kann und was daraus normativ bzw. politisch folgt. Aber solche Unterscheidungen sind Josten offenkundig fremd. Gelesen hat Josten Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ übrigens nicht, wie er im Interview einräumte. Auch damit ist er nicht allein: Schon Kanzlerin Merkel hatte trotz ihrer Kritik am Buch dieses nicht gelesen. Und auch Friedemann Vogel, einer der eifrigsten Kritiker meiner Einladung Sarrazins nach Siegen, räumte bei einer Podiumsdiskussion ein, das Buch gar nicht zu kennen. Und das ist typisch: Man zeigt Haltung, weiß aber gar nicht, wogegen eigentlich.

Tatsächlich hatte Josten mir im Zusammenhang mit dem Thema Gruppenvergewaltigung folgendes Zitat zur Autorisierung zugeschickt: „es kommt darauf an, was man normativ daraus macht, und wenn man sagt: ‚Alle Ausländer raus‘, dann sage ich: ‚Nein, das folgt nicht daraus.“ Dieses Zitat fehlt aber in Jostens Text (und übrigens gibt er an zwei Stellen von mir autorisierte Zitate falsch wieder, zudem wurde ein Zitat von mir nicht autorisiert). Zu dem, was Sarrazin ,sagt und schreibt‘, gehört eine Vielzahl von normativen bzw. politischen Forderungen; und von diesen habe ich ausdrücklich gesagt, dass sie aus dem, was Sarrazin empirisch behauptet (selbst wenn es wahr ist oder wahr wäre), keineswegs zwingend folgen. Und das schon deshalb nicht, weil, wie jeder Philosoph weiß, aus empirischen Tatsachen ohne zusätzliche normative Annahmen nie irgendetwas Normatives folgt.

Das gleiche trifft zu für die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Erklärungen für die behaupteten Tatsachen. Nehmen wir einmal an, Sarrazins These, Muslime zeigten durchschnittlich schlechtere Schulleistungen, träfe zu (de facto bestreitet nicht einmal Josten sie, obwohl er sie zugleich zu dem ,Angstbild‘ rechnet). Dann ist immer noch zu überlegen, woran das liegen könnte. Josten meint, es läge u. a. am nicht optimalen Bildungssystem in Deutschland; mag sein, mag aber auch sein, dass es, wie Sarrazin meint, etwas mit dem kulturell-religiösen Hintergrund muslimischer Menschen zu tun hat. Was auch immer die Erklärung ist: Aus dem Befund, dass bestimmte Menschen durchschnittlich schlechtere Schulleistungen zeigen, folgt normativ gar nichts. Erst mit bestimmten Zusatzannahmen könnte man nämlich den Schluss ziehen, weniger Muslime ins Land zu lassen (so, etwas vereinfacht, Sarrazins Position); man könnte aber auch folgern, mehr Geld in deren Ausbildung zu stecken.

Die Antwort auf Jostens Frage, warum ich ,unreflektiert‘ ein ,solches Bild von Einwanderern verbreite‘, lautet also: Das ist nicht mein Bild, und daher verbreite ich es auch nicht. Es ist auch nicht unreflektiert: Aus der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik des Bundeskriminalamts ergibt sich, dass Flüchtlinge etwa 2020 insgesamt 2,23 % der Bevölkerung ausmachten, aber 7,33 % aller Tatverdächtigen, wobei ausländerrechtliche Verstöße bereits herausgerechnet sind; zu beachten ist außerdem, dass Tatverdächtige mit deutscher Staatsbürgerschaft unabhängig von ihrem Migrationshintergrund den deutschen Tatverdächtigen zugerechnet werden. In Bezug auf schwere Gewaltverbrechen ist der Anteil noch viel höher; so sind etwa bei Vergewaltigungen 14,1 % der Tatverdächtigen Flüchtlinge. Es überrascht daher zunächst einmal nicht, dass selbst Innenministerin Nancy Faeser einräumt, dass die steigende Migration zu mehr Straftaten geführt habe und NRW-Innenminister Reul vor dem Hintergrund der NRW-Kriminalstatistik für das Jahr 2023 feststellte: „Nichtdeutsche sind deutlich überrepräsentiert. Und das bei fast allen Delikten“.

Nun wendet Josten ein, dass diese Statistiken völlig irreführend seien. So würden in der Statistik Tatverdächtige, nicht aber verurteilte Straftäter aufgenommen. Das stimmt, ändert aber nichts am zugrundeliegenden Sachverhalt. Denn es ist zwar wahr, dass gegen die Mehrheit der Tatverdächtigen aus verschiedenen Gründen keine Anklage erhoben wird (auch wenn als Tatverdächtige nur Personen aufgenommen werden, bei denen nach Abschluss der Polizeiarbeit hinreichender Verdacht besteht, dass eine Straftat begangen wurde; bloße Anzeigen oder Anschuldigungen werden nicht aufgenommen) und zudem ein (kleiner) Teil freigesprochen wird. Aber das ist für die strittige Frage unerheblich; denn der Ausländeranteil unter den Tatverdächtigen entspricht ungefähr dem Ausländeranteil unter den Verurteilten.

Wahr ist auch, dass die Gefahr, angezeigt zu werden, von der ethnischen Zugehörigkeit abhängen kann. Aber erstens erklärt das nicht alle Unterschiede; und zweitens besteht, wie der Kriminologe Tillmann Köllisch gezeigt hat, dieser Zusammenhang nur bei leichten Delikten wie Diebstahl usw., nicht aber bei schweren Verbrechen (Vergewaltigung usw.).

Hierzu wie auch zum Racial Profiling wäre noch einiges mehr zu sagen und zu differenzieren (wie man bei Ruud Koopmans nachlesen kann, dem ich hier z. T. folge); was Josten zur Scharia sagt, ist sehr verharmlosend. Ich stimme jedenfalls zu, dass Statistiken grundsätzlich verzerrend sein können, und gewiss wird es solche Effekte auch geben bezüglich der Ausländerkriminalität, wie z. B. Prof. Dr. Dirk Baier bezüglich der Schweiz zu zeigen versucht hat. Darüber kann man streiten, und wenn über 80 Prozent der Tatverdächtigen bei Taschendiebstählen in NRW keine Deutsche sind, wird man bei dieser Zahl also gewiss noch einiges herausrechnen können (zu den „Touristen“ gehören übrigens auch die Tatverdächtigen organisierter Kriminalität). Aber zu leugnen, dass es überhaupt einen signifikanten Einfluss gibt (besonders auch bei Sexualdelikten), beweist eine Realitätsverweigerung auch der Siegener Mediathek gegen Rassismus und Diskriminierung, die unweigerlich an das Geschwurbel von Coronaleugnern denken lässt.

Josten fragt auch, wie ich dazu käme, von Cancel-Culture zu sprechen, obwohl ich als ,Professor meine Meinung nach Lust und Laune vor hunderten Studierenden ausbreiten‘ könne, und dies in ,einem Deutschland, in dem auch Sarrazin im August ein neues Buch herausgeben konnte‘. Aber erstens darf ich im Hörsaal nur meine Meinungen äußern, sofern sie aus der Tätigkeit als Wissenschaftler erwachsen. Zweitens folgt aus Einzelfällen nie irgendetwas. Es folgt z. B. aus der Tatsache, dass man persönlich gebildete Muslime kennt, überhaupt nichts für die Frage, wie gebildet Muslime im Durchschnitt sind, so wenig wie aus der Tatsache, dass man ungebildete Muslime kennt, folgen würde, dass die meisten oder gar alle Muslime ungebildet wären. Drittens gibt es viel raffiniertere Formen des Cancelns als die, etwa ein Buch von Sarrazin zu zensieren. Und viertens zeigt sich auch bei dieser Frage wieder Jostens Realitätsverweigerung: Wer ernsthaft behauptet, dass es in Deutschland keine problematische Zahl von Cancelfällen gibt (das gilt besonders auch für die neuen Medien), der hat schlichtweg keine Ahnung oder will keine haben. Übrigens lautet eine der Überschriften in der Online-Version seines Artikels: „Geschäftsführung der Mediathek will canceln“. So viel Reflexion muss sein.

Jostens Beitrag ist typisch für eine bestimmte Art des woken Journalismus. Er geht u. a. hervor aus den links dominierten geistes- und kulturwissenschaftlichen Fakultäten an deutschen Universitäten (Josten hat „Crossmedia-Redaktion“ und „Komparatistik“ studiert). Man muss sich darüber nicht wundern, so wenig wie man sich darüber wundern muss, dass seit dem 7. Oktober 2023 ein studentischer Mob seinen Antisemitismus austobt. Vom Himmel fällt so etwas nicht.