Am Deutschen Hochschulverband (DHV) hat es für den kurzen Zeitraum von zwei Jahren (genauer gesagt: vom 20.04.2021 bis zum 08.11.2023) die Stiftung „Freiheit der Wissenschaft“ gegeben. Ich hatte die Idee und ich habe das Grundkapital zur Verfügung gestellt.
Der schlichte Zweck der Stiftung war, in unserer von einer „Cancel Culture“ genannten Art von Dummheit bedrohten Zeit an das zivilisatorische Grundpostulat „Audiatur et altera pars!“ dadurch zu erinnern, dass herausragenden Personen, die sich durch die öffentliche Verteidigung des freien Rederechts ausgezeichnet haben, der Preis der Stiftung verliehen wird.
Die bisherigen Preisträger waren Professor Noam Chomsky, meistzitierter Wissenschaftler der Welt, renommiert und von Freunden und Gegnern anerkannt als unerschrockener Kämpfer für das Recht Andersdenkender auf freie Meinungsäußerung, und Professor Nida-Rümelin als Anerkennung für den Mut, den es heutzutage in Deutschland braucht, um sich gegen den Mainstream für eine differenzierte Sicht des Verhältnisses zur russischen Wissenschaft öffentlich einzusetzen.
Ich hatte mich mit dem Konzept dieser Stiftung an den Deutschen Hochschulverband als Zusammenschluss der deutschen Hochschullehrer gewandt, weil ich der Meinung war, er sei genau der richtige Ort für eine Stiftung, die den oben genannten Zweck verfolgt, da Wissenschaft ohne Meinungsfreiheit schlicht nicht denkbar ist.
Der damalige Präsident des DHV, Professor Bernhard Kempen, und der damalige Geschäftsführer, Professor Michael Hartmer, griffen die Idee sofort auf und halfen dabei, sie zügig umzusetzen. Der Trägerverein des DHV wurde der Träger der Stiftung „Freiheit der Wissenschaft“. Die beiden oben genannten Preisverleihungen gehen auf meine Anregung und auf die jeweils spontane, volle Unterstützung durch Präsident und Geschäftsführer zurück. Sie wurden durch das Kuratorium der Stiftung einstimmig beschlossen.
Das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“, zu dem sich etwa 700 um die zunehmende Verengung des Meinungskanals an den deutschen Universitäten besorgte Wissenschaftler zusammengeschlossen haben, hat im letzten Jahr seinen „Positiv-Preis“ Professor Kempen verliehen, um damit dessen vielfältigen Einsatz für die Verteidigung der Redefreiheit an den Universitäten zu würdigen. Die Einrichtung der Stiftung gehört mit zu diesem seinem Engagement. Das Thema seines Festvortrags aus Anlass der Preisverleihung in der Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin war: „Wissenschaftsfreiheit gecancelt – die Universität erlebt ihren eigenen Klimawandel.“
In die Zeit von Bernhard Kempen als Präsident und Michael Hartmer als Geschäftsführer fiel, wie gesagt, die Preisverleihung der „Stiftung Freiheit der Wissenschaft“ an Professor Noam Chomsky. Das war, wie man wohl behaupten kann, ein hervorragender Auftakt der Stiftungsarbeit.
In die Zeit von Bernhard Kempen als Präsident und Michael Hartmer als Geschäftsführer fiel auch die Nominierung von Professor Julian Nida-Rümelin für die zweite Preisverleihung – ebenfalls, wie ich denke, eine hervorragende Wahl.
Noch vor der Verleihung des Preises an Professor Nida-Rümelin kam es jedoch zu einem kompletten Wechsel der Leitung des Deutschen Hochschulverbandes: Michael Hartmer ging in Pension und Bernhard Kempen kandidierte nach 20 Jahren nicht noch einmal als Präsident.
Und nun geschah innerhalb weniger Wochen etwas Faszinierendes, etwas, was ich dem alten Deutschen Hochschulverband, der mir in den 43 Jahren meiner Mitgliedschaft immer als verlässlich, seriös und honorig erschienen war, nie zugetraut hätte.
Hatte Präsident Kempen die Stiftung noch als „Diamant“ am DHV bezeichnet, so brauchte die neue Leitung nur kurze Zeit, diesen „Diamanten“ in den Ausguss zu kippen und die Stiftung in die Tonne zu treten. Ich bitte um Verzeihung für diese Ausdrucksweise, aber sie widerspiegelt einigermaßen genau das, was geschah und den Stil, in dem es geschah.
Wie kam es dazu?
Natürlich habe ich keine Auskunft darüber bekommen, was sich im Hintergrund abgespielt hat.
Ich stelle es mir so vor:
Die erste „Amtshandlung“ unter der neuen Präsidentschaft, die ich in meiner Funktion als Stifter und Vorsitzender des Kuratoriums vorzunehmen hatte, war die Ansprache aus Anlass der Verleihung des Preises an Professor Nida-Rümelin.
Das Publikum bestand aus Mitgliedern des erweiterten Vorstandes des DHV, ich schätze etwa 20 bis 25 Personen, ein großer Teil von ihnen Naturwissenschaftler. Anwesend war auch die derzeitige NRW-Kultusministerin. Das Treffen fand in Düsseldorf statt.
Die Ansprache hatte folgenden Wortlaut:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
die Stiftung „Freiheit der Wissenschaft“, die vom Trägerverein des Deutschen Hochschulverbandes verwaltet wird, verleiht aufgrund eines einstimmigen Beschlusses ihres Kuratoriums den diesjährigen Preis „Freiheit der Wissenschaft“ Herrn Professor Julian Nida-Rümelin.
Professor Nida-Rümelin ist nicht nur ein – über die Fachkreise hinaus – sehr renommierter Philosoph, er ist auch dem großen Publikum bekannt als politischer Denker und ehemaliger Staatsminister.
Ich bedanke mich im Namen des Kuratoriums sehr herzlich dafür, dass Sie, sehr geehrter Herr Professor Nida-Rümelin, unsere Anfrage spontan positiv beantwortet haben!
Mit Ihnen hat der vorige Preisträger, Professor Noam Chomsky, wie ich denke, einen guten Nachfolger gefunden.
Der Zweck der Stiftung ist die Verteidigung der Freiheit der Rede an den Universitäten.
Die Freiheit der Rede an den Universitäten?, werden Sie fragen. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit!
Ja, in der Theorie. Leider sieht die Wirklichkeit etwas anders aus.
Über die heutige Wirklichkeit hat unser voriger Präsident, Professor Kempen, in einem großen und vielbeachteten Artikel in der FAZ vor einiger Zeit das Nötige gesagt. Titel: „Universität als Risikozone“. Untertitel: „Die Zensurschere im Kopf vieler Wissenschaftler wird immer länger, obwohl sie die größte Freiheit haben.“
Es ist der Mühe wert, das noch einmal nachzulesen!
Auch unser neugewählter Präsident, Professor Lambrecht Koch, hat sich mehrfach im gleichen Sinn geäußert; zuletzt – schon als neuer Präsident – in Forschung & Lehre.
Das ist sehr erfreulich – aber leider auch bitter nötig!
Wie schon Kant und dann auch sein Bewunderer Schopenhauer kann sich leider auch der kleine Reinhard Hesse nicht ganz des Eindrucks erwehren, dass das Gros der Menschheit – grob, aber immerhin in Kants Worten, gesagt – zu faul und zu feige ist, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.
Lieber denkt und sagt man das, was alle, insbesondere das, was die Mächtigen sagen – speziell wenn man von ihnen auch noch bezahlt wird.
Nun, zu diesem Gros der Menschheit gehören Noam Chomsky und Julian Nida-Rümelin nicht – wenn auch natürlich jeder auf seine eigene Weise nicht.
Unser diesjähriger Preisträger hat das in diesen Tagen in eindrucksvoller Weise durch sein neues Buch „Cancel Culture. Das Ende der Aufklärung? Ein Plädoyer für eigenständiges Denken“ erneut und in Hinsicht auf den Zweck unserer Stiftung einschlägig bewiesen. Das Buch ist Anfang August bei Piper mit dem Etikett „Spiegel Bestseller Autor“ erschienen.
Ich hatte Professor Nida-Rümelin allerdings schon längere Zeit vorher als Preisträger vorgeschlagen, weil ich den Eindruck hatte, dass er tatsächlich der einzige namhafte und darüber hinaus auch politisch vernetzte deutsche Professor ist, der den Mut aufgebracht hat – ja, das Wort „Mut“ muss man hier wohl tatsächlich gebrauchen – z.B. in der Frage des Verhältnisses zwischen den deutschen und den russischen Wissenschaftsorganisationen etwas anderer Meinung zu sein als der, die gegenwärtig angesagt ist.
Über mögliche Perspektiven nach Ende des Krieges in der Ukraine hat er übrigens ein ebenfalls hochinteressantes Buch herausgebracht, das erfreulicherweise keine 1:1 Wiedergabe des tausendmal Gehörten ist und das ich Ihnen schon deshalb empfehlen möchte.
Der Titel gibt den Inhalt wieder: „Perspektiven nach dem Ukrainekrieg“.
Der DHV ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern. Daher interessiert aus unserer Sicht in diesem Zusammenhang natürlich zunächst das, was die Wissenschaften und ihre Organisationen betrifft.
War es richtig, dass die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen die Zusammenarbeit mit ihren russischen Partnern eingestellt haben? War es falsch? Gibt es nur ein Entweder-Oder? Gibt es – mit ein wenig Phantasie – nicht auch etwas dazwischen?
Professor Nida-Rümelin hat sich zu diesen Fragen in der Vergangenheit wiederholt öffentlich geäußert und dabei, wie gesagt, einen differenzierten, kritischen Standpunkt vertreten.
Ähnlich wie Professor Nida-Rümelin sieht nach meinem Eindruck auch unser neugewählter Präsident, Professor Lambrecht Koch, die Dinge differenzierter, als sie im sog. Mainstream dargestellt werden.
In Ausgabe 5, 2023 von „Forschung und Lehre“ schreibt er: Wissenschaft bleibe autonom, könne sich aber den politischen Implikationen ihres Tuns nicht entziehen, wie an der zunehmenden Abgrenzung westlicher Demokratien von Autokratien wie Russland oder China deutlich werde. Besonders heikel seien Wissenschaftskooperationen, die die technologische Souveränität einschränken oder Autokratien befähigten, Minderheiten zu verfolgen, sowie Dual-Use-Projekte, die sowohl militärische wie auch zivile Verwendungszwecke haben könnten.
In der Frage, welche Kooperationen vertretbar sind, sollten Wissenschaftler daher Beratungsangebote aus Politik und Scientific Community nutzen.
Er plädiert für „Leitplanken in Kooperationsvereinbarungen, die Zusammenarbeit ermöglichen, aber auch Vereinnahmungen und unerwünschte Abhängigkeiten abwehren können.“
Differenzen müssten angesprochen, Verstöße gegen die Freiheit der Wissenschaft benannt und verurteilt werden. Wo Wissenschaftsfreiheit mit Füßen getreten werde, müssten Kooperationen beendet werden. Die Zusammenarbeit werde sich dann allenfalls noch individuell und punktuell fortführen lassen. Zwar könnten gute persönliche Kontakte blenden, vertiefte Kenntnisse des Gegenübers verschafften jedoch auch Verständnis und Vertrauen. Eine freie Wissenschaft könne positiv auf geschlossene Gesellschaften ausstrahlen, so Lambert Koch. Seine Ausführungen enden mit dem Satz: „Eine an unbequeme außenpolitische Realitäten angepasste `Science Diplomacy` bleibt deshalb wichtig und richtig.“
„Science Diplomacy“, das ist , scheint mir, etwas ziemlich Anderes als Gesprächsabbruch und Krieg.
Nicht der Gesprächsabbruch, sondern im Gegenteil die Gesprächsintensivierung ist der Weg, den zivilisierte Menschen in Konfliktsituationen wählen müssen, wollen sie nicht sich selbst diskreditieren.
Davon ist gegenwärtig auf der Ebene der sog. hohen Politik allerdings nichts zu spüren.
Sehr geehrter Herr Professor Nida-Rümelin, es freut mich, dass Sie unseren Preis angenommen haben!
Er ist als Ermutigung für einen Menschen gedacht, der nicht mit dem Strom schwimmt und der keinen Krieg mit keinen Mitteln fortsetzen will.
Kant hat gesagt: „Der Friede ist ein Meisterstück der Vernunft“.
Vernunft aber konkretisiert sich in nichts Anderem als im argumentierenden Dialog.
Und Wissenschaft kann nicht den Anspruch auf Seriosität erheben, wenn sie nicht bereit ist zum Anhören anderer Meinungen und zum ergebnisoffenen Prüfen der für diese anderen Meinungen vorgebrachten Argumente.
Es freut mich – und hoffentlich uns alle – dass Sie, sehr geehrter Herr Professor Nida-Rümelin, uns in der Vergangenheit immer wieder neu Gelegenheit gegeben haben, diesen unseren Seriositätsanspruch an uns selbst zu testen.
Und ich hoffe, dass Sie das auch weiter tun werden!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und für Ihre Geduld!“
Nie hätte ich gedacht, dass eine zum Miteinanderreden, zu Differenzierung, zu Vernunft und Ausgleich aufrufende Ansprache wie diese Anlass zu einem Eklat, zu Kontaktabbruch, zu einem Zerwürfnis geben könnte! Erst recht nicht unter diskussionserprobten, lebenserfahrenen, erwachsenen Menschen, die zudem in einer für die Verteidigung des Postulats „Audiatur et altera pars!“ gegründeten Stiftung zusammenarbeiten!
Und doch war es ganz offensichtlich so.
Vermutlich gab es unter den Mitgliedern des erweiterten Vorstandes solche, denen die vorgetragenen Überlegungen zu differenziert waren, zu abwägend, zu wenig passend zu der in ihren Augen doch offensichtlich völlig klaren Lage, zu der in ihren Augen doch völlig klaren Verteilung von gut (Wir) und böse (die Russen).
Hinzu kam vielleicht die Anwesenheit der nordrhein-westfälischen Kultusministerin während des Vortrags, die die betreffenden Personen noch sensibler, noch nervöser gemacht haben mag.
Auch war der Präsident ja erst ziemlich neu im Amt und in dem neuen Amt noch nicht erfahren und abgehärtet genug; vielleicht fürchtete er, seinen DHV in eine politisch missliebige Ecke gestellt zu sehen.
Wenige Tage nach der Preisverleihung findet jedenfalls eine Sitzung des Kuratoriums der Stiftung statt, in der mich der Schock trifft, als der neue Präsident die Sitzung ohne Vorrede mit dem Vorwurf beginnt, ich hätte eine prorussische Ansprache gehalten; er sähe die Vertrauensgrundlage unserer Zusammenarbeit im Rahmen der Stiftung berührt.
Immerhin war ich noch geistesgegenwärtig genug, ihn zu unterbrechen und zu sagen: Nein, keineswegs prorussisch, sondern pro Differenzierung und pro Dialog; das sei etwas ganz Anderes.
Nach diesem Anfangsfanal verlief die weitere Sitzung in angespannter Atmosphäre und führte zu keinem konkreten Ergebnis.
Ein Ergebnis bekam ich erst einige Zeit später in dürren Worten lakonisch mitgeteilt von der neuen Geschäftsführerin, Frau Dr. Yvonne Dorf: Niederlegung der Trägerschaft durch den DHV, Abschaltung des (von mir bezahlten!) Internetauftritts. Ende der Stiftung. Punkt. Und das alles, ohne Gründe zu benennen.
In Reaktion auf diesen in meinen Augen schier unglaublichen Vorgang schrieb ich dem Präsidenten die folgenden Zeilen:
„Sehr geehrter Herr Professor Dr. Koch,
am 8. 11. erhielt ich von Frau Dr. Dorf ein eMail-Schreiben, in dem sie mir überraschend die Niederlegung der Trägerschaft der Stiftung „Freiheit der Wissenschaft“ durch den Trägerverein des DHV mitteilt.
Ich will nicht verhehlen, dass ich dieses Schreiben lieber von Ihnen – als meinem gewählten Präsidenten – erhalten hätte; auch weil zu Beginn die Korrespondenz, die die Einrichtung der Stiftung am DHV vorbereitete, zwischen Stifter und Präsident geführt wurde.
Das Schreiben habe ich teils mit Bedauern, teils mit Erleichterung zur Kenntnis genommen.
Mit Bedauern, da sich die große Hoffnung, die ich auf den DHV gesetzt hatte, als Illusion erweist.
Nun – das Leben wird weitergehen und ich bin zuversichtlich, dass es mir nach dem von Frau Dr. Dorf mitgeteilten Rückzug – über dessen Gründe sie sich rätselhafterweise in Schweigen hüllt – , gelingen wird, das Anliegen der Stiftung, das mir nach wie vor als unaufgebbar erscheint, dauerhaft in geeigneter Weise öffentlich zum Ausdruck bringen zu können.
Da haben die beiden scheidenden Herren Kempen und Hartmer dem jetzigen DHV zum Abschied offenbar ein etwas zu großes Ei ins Nest gelegt – obwohl es bei rechtem Licht betrachtet eigentlich zugleich auch sehr klein ist!
Das Kernanliegen der Stiftung ist ja nur dies: Sie möchte an die zivilisatorische Selbstverständlichkeit des altrömischen Rechtsgrundsatzes „Audiatur et altera pars!“ erinnern. Weiter eigentlich nichts.
Für Herrn Kempen und Herrn Hartmer war diese Selbstverständlichkeit unbezweifelbar und deren Verteidigung gegen die heute „cancel culture“ genannte Art von Argumentations- und Gesprächsverweigerung ein Gebot der Stunde.
Wie Herr Kempen gelegentlich in F&L aus offenbar gegebenem Anlass zu Protokoll gegeben hat, sei er selbstverständlich bereit, sogar dann mit der „altera pars“ zu reden, wenn es sich dabei z.B. um AfD-Bundestagsabgeordnete handele.
Da die AfD in den meisten Medien – im Wortsinn auf Deibelkommraus – als der leibhaftige Gottseibeiuns behandelt wird, war diese Ansage ziemlich mutig von ihm. Ich habe ihn deswegen bewundert. Zumal bei mir am WahlOmat vermutlich ein ähnlich „erschreckendes“ Ergebnis herauskäme wie bei Harald Schmidt….
An seinem Abschiedsabend in Berlin hat mir Herr Kempen gesagt, er hielte die „Stiftung Freiheit der Wissenschaft“ für einen „Diamanten“ im DHV.
Das ist erst wenige Monate her. Man sieht wieder mal, wie schnell alles anders werden kann! Das neue Personal kehrt den „Diamanten“ in den Ausguss.
Ich schrieb oben, dass ich die Niederlegung der Trägerschaft nicht nur mit Bedauern, sondern auch mit Erleichterung zur Kenntnis genommen habe.
Mit Erleichterung hauptsächlich deshalb, weil ich mir eingestehen musste, dass sich der Trägerverein in einer für die Stiftung zentralen Hinsicht – genauer gesagt: in der für den Erfolg der Arbeit der Stiftung zentralsten Hinsicht – ohnehin weder an den Buchstaben noch an den Geist der Stiftungssatzung hält!
Eine für ihren Kampf um die Freiheit der Rede weltweit bekannte und anerkannte Figur aus der ersten Reihe wie Noam Chomsky, meistzitierter Wissenschaftler der Welt, als Preisträger zu gewinnen, ist m. E. ein großartiger Erfolg – einer, der wohl nur schwer überboten werden kann. So haben es auch Herr Kempen und Herr Hartmer gesehen.
Auch der von mir als zweiter Preisträger vorgeschlagene und gewonnene Julian Nida-Rümelin ist eine ohne Zweifel herausragende Figur.
Über keine dieser beiden Preisverleihungen findet sich in F&L, der Zeitschrift des Deutschen Hochschulverbandes, auch nur ein einziger Kurzartikel!
Das widerspricht nicht nur dem Geist, sondern, ich wiederhole es, auch dem Buchstaben der Satzung, zu deren Einhaltung sich der Trägerverein am 20. April 2021 durch notariell beglaubigte Unterschrift verpflichtet hat!
Was soll man dazu sagen?
Mit den alten Römern und ihren Sprüchen nimmt es der DHV wohl nicht so genau.
Nicht mit „Pacta sunt servanda!“ – aber auch nicht mit „Audiatur et altera pars!“.
Es wird in einem Hinterzimmerchen beschlossen, die Trägerschaft der Stiftung, die diesem Leitmotiv – „Audiatur et altera pars!“ – gewidmet ist, niederzulegen. Fertig!
Die Anklage wird erhoben, die Verhandlung wird geführt, das Urteil wird gefällt. Danach wird der Delinquent vorgeladen. Fertig!
Der (von mir bezahlte!) Internetauftritt der Stiftung wird gelöscht. Fertig! Gründe werden keine genannt.
Eine Rücksprache, eine Information, eine vorherige Anhörung des Stifters findet nicht statt.
Der Stifter der anti-cancel-culture-Stiftung wird gecancelt! Und die Stiftung(strägerschaft) mit ihm!
Kann man sich selbst noch grotesker ad absurdum führen?
Als sich mein philosophischer Lehrer Karl-Otto Apel als Wehrmachtssoldat weigerte, an der befohlenen Erschießung sowjetischer Überläufer teilzunehmen, wurde er von dem zuständigen Offizier angehört (und dann in Ruhe gelassen).
Er wurde angehört! Man staunt.
Ob es mir jemals vergönnt sein wird, wenigstens nachträglich eine schriftliche Begründung zu erhalten?
Was ist an ihr so geheimnisvoll? Warum muss sie das Licht der Öffentlichkeit scheuen?
Eine offene, ehrliche, schriftliche Begründung ist, sollte man meinen, eine Frage der zivilisierten Umgangsformen, der Fairness, des Anstands.
Aber freilich, auch darüber kann man sich hinwegsetzen.
Anm.: Inzwischen erhielt ich einen Entwurf des DHV für den Text des Vertrages, mit dem die von ihm erzwungene Auflösung der Stiftung rechtskräftig umgesetzt werden soll. Er sieht tatsächlich eine „Stillschweigevereinbarung“ vor: „Die Parteien verpflichten sich wechselseitig, über die Gründe des Zustandekommens dieser Auflösungsvereinbarung Stillschweigen zu bewahren und sich über die jeweils andere Vertragspartei in der Öffentlichkeit nicht imageschädigend oder in einer sonstigen herabsetzenden Weise zu äußern.“
Passte meine Argumentation vor dem erweiterten DHV Vorstand gegen die pauschale Cancelung der russischen Wissenschaft, mein Aufruf zur Differenzierung, sowenig in die gegenwärtig absichtsvoll geschürte Kriegsstimmung, dass einem (in Ermangelung von Gegenargumenten) nur noch der diskussions- und kommentarlose Hinauswurf, der Tritt in den Hintern einfällt?
Das wäre doppelt grotesk, da auch Sie, sehr geehrter Herr Koch, in F&L die gleiche Position vertreten haben, wenn ich richtig Deutsch verstehe. Ich habe mich in meiner Rede in Düsseldorf auf Sie berufen und Sie ausführlich zitiert!
Aber wenn ich mich zu Recht auf Sie berufen habe, dann stellt sich die Frage, was Ihr Wort im DHV gilt.
Wird es mir vergönnt sein, von Ihnen ein Wort dazu zu vernehmen?
Ich möchte mich trotz der rasanten Abfertigung, die mir zuteil geworden ist, und die ich für hochschulpolitisch gesehen traurig, juristisch gesehen blamabel und menschlich gesehen unterirdisch halte, gleichwohl in diesem Abschiedsbrief nicht nur kritisch und nur aus meiner Sicht äußern.
Auch Ihnen, den Mitgliedern des Trägervereins, ist sicherlich irgendetwas durch den Kopf gegangen, was Ihnen als Grund erschien.
Ich hoffe, Sie nehmen es mir als ernstgemeint und als um Verständnis bemüht ab, wenn ich einige Gedanken anfüge, die sich mir in den letzten zwei Jahren aufgedrängt haben. Sie betreffen die strukturelle Diskrepanz zwischen dem Anliegen der Stiftung und dem Anliegen des DHV.
Das Anliegen der S t i f t u n g ist, sicherlich nicht auf den ersten Blick, wohl aber bei bei genauerem Hinsehen und vor allem, wenn man es konsequent ernst nimmt, alsbald ein politisches.
Entsprechend waren denn auch die beiden ersten Preisträger politische Preisträger: In unmissverständlich prononcierter Weise Noam Chomsky, der von manchen in Amerika als eine Art Staatsfeind angesehen wird, und auch Julian Nida-Rümelin, der z.B. mit der deutschen Wissenschaftspolitik Russland gegenüber nicht kritiklos übereinstimmt und Bedenken gegen die pauschale Cancelung der Kontakte mit der russischen Wissenschaft hat – was der Hauptgrund dafür war, dass ich ihn als zweiten Preisträger vorgeschlagen habe.
Der D H V aber versteht sich letztlich nicht als politischer Verband (das war unter früheren Präsidenten, wie z.B. unter Hartmut Schiedermair, schon eher der Fall), sondern als „Berufsvertretung“ der Wissenschaftler – was z.B. heißen soll, durch Mitwirken bei Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen seinen Mitgliedern dabei zu helfen, beruflich besser voranzukommen. Das ist sicherlich in Ordnung, aber es ist nicht unbedingt auch politisch.
Würde der DHV anfangen, sich als politischer Verband zu sehen und sich dementsprechend engagieren, so würde er sich den Zentrifugalkräften des politischen Meinungsstreits und der politischen Interessen aussetzen – eine für ihn in der Tat potenziell existenzgefährdende Perspektive.
Hochentwickelte Führungsfähigkeiten, subtile politische Urteilskraft und sehr viel Mut wären erforderlich, um das Schifflein des DHV an den politischen Felsenklippen vorbeizusteuern und dabei Mannschaft und Passagiere an Bord zu halten.
Figuren vom Kaliber Franz-Josef Strauss`, Helmut Kohls oder Helmut Schmidts hätten das vielleicht nebenher gemacht. Für Hartmut Schiedermair war es soetwas wie eine Lebensaufgabe. Und Bernhard Kempen hat es zusammen mit Michael Hartmer 20 Jahre lang geschafft, das Schiff flott und über die Toppen beflaggt zu halten – eine beachtliche Leistung!
Ich kann es jedenfalls aus meiner bloßen Zuschauer- und Mitgliedsperspektive – ich bin Mitglied des DHV seit 08.02.1980, als Werner Pöls Präsident und Gerth Dorff Geschäftsführer waren – niemandem persönlich verübeln, wenn er sich darauf nicht einlassen will.
Aber schade ist es doch und kein gutes Zeichen für die politische Kultur in diesem Lande.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Hesse“
Soweit zum traurigen Ende eines hoffnungsvoll begonnenen Unternehmens.
Was ist die Lehre, die man aus alldem ziehen kann?
Darüber zu befinden, möchte ich dem Leser überlassen.
Ich für meinen Teil habe gelernt: Ob „Audiatur et altera pars!“ gilt oder nicht gilt, steht in den Sternen.
Und ich habe gelernt: Ob „Pacta sunt servanda!“ gilt oder nicht gilt, steht ebenfalls in den Sternen.
Für mich bedeuten die geschilderten Erfahrungen nicht nur etwas im Hinblick auf die Frage, wes Geistes Kind der (heutige) Deutsche Hochschulverband ist, sie scheinen mir auch etwas darüber hinaus zu bedeuten. Denn sie fügen sich ein in Erfahrungen mit ähnlich gesunkenen Standards in anderen Bereichen des heutigen gesellschaftlichen und staatlichen Lebens.
Wäre es nur der DHV, der sich bei Bedarf um solche Grundregeln nicht schert – man könnte vielleicht noch, wie man sagt, „zur Tagesordnung übergehen“.
Aber es ist ja nicht nur der DHV, dem diese Regeln bei Bedarf Wurst sind. Es sind auch große politische Institutionen, es ist die deutsche Regierung selbst, es ist die EU, es ist die EZB u.a.m., die sich immer wieder über Rechtsregeln und Verträge hinwegsetzen, wenn sie ihnen nicht passen.
Seriöse Autoren wie Hans Herbert von Arnim, Andreas von Bülow, Karl Albrecht Schachtschneider u.a. haben das an einer Vielzahl von Beispielen detailliert dargestellt.
Am Ende bleibt die beunruhigende Frage, wie anders man all das verstehen kann, wenn nicht als Zeichen eines kulturellen Niedergangs?
Die Art des Endes der Stiftung „Freiheit der Wissenschaft“ ist in diesem Gesamtbild nur kleines Mosaiksteinchen.