Eine Replik von Dieter Schönecker
Mein Siegener Kollege Erhard Schüttpelz gehörte zu den Initiatoren einer kritischen Stellungnahme zum Geschehen um die Bundesbildungsministerin https://docs.google.com/forms/d/1NbIQ2jmvuTih8wT9khMsOcsvOZtd7uwgwq4l6x5D_9I/viewform?edit_requested=true. In einer Glosse habe ich ihn für die Inkonsistenz kritisiert, sich einmal mehr auf die Wissenschaftsfreiheit zu berufen, wenn es darum geht, linke Studierende und Kollegen zu verteidigen, zugleich aber zu denen zu gehören, die sich nicht nur nie für die Wissenschaftsfreiheit (angeblich) rechter Wissenschaftlerinnen einsetzen, sondern diese sogar angreifen (wie auch Robin Celikates und viele andere aus diesem Milieu). https://www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de/unreflektiert-verlogen-oder-dumm-eine-glosse-zur-offenen-stellungnahme-zum-vorgehen-der-bundesbildungsministerin-angesichts-des-offenen-briefes-berliner-hochschullehrerinnen/.
Darauf hat Schüttpelz nun reagiert: https://www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de/wenn-es-uns-in-den-politischen-kram-passt/ Ich finde es gut und richtig, dass das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit einem seiner schärfsten Kritiker Gelegenheit gibt, sich zu äußern; das beweist eine Liberalität, die man bei seinen Gegnern regelmäßig vermisst. Nun ist es zwar ermüdend, die immer gleichen Korrekturen vorzunehmen und auf einen Text zu replizieren, der so wirr ist, dass weder eine klare Position noch ein nachvollziehbares Argument erfindlich ist. Aber vielleicht ist es angesichts der Tatsache, dass der Siegener Fall auch in jüngeren Publikationen zur Wissenschaftsfreiheit etwa von Oliver Hallich und Tim Henning eine Rolle spielt, angezeigt, noch einmal zu reagieren. Und nebenbei ist es vielleicht auch ein kleines Lehrstück über die Integrität und das intellektuelle Vermögen jenes selbstgerechten Milieus, dem Schüttpelz angehört.
Zunächst also noch einmal zum Siegener Fall: Schüttpelz schreibt, er habe nie mein Recht „bestritten, wen auch immer in sein Seminar oder in ein Kolloquium des Philosophischen Seminars einzuladen“; des Weiteren stellt er fest: „Ich habe den Rektor nicht gebeten, die seinerzeitige Veranstaltung zu verbieten. Ich habe ihn gebeten, dafür zu sorgen, daß die beiden Veranstaltungen mit Sarrazin und Jongen […] Universitätsveranstaltungen bleiben, und nicht in eine öffentliche politische Veranstaltung zur Repräsentation rechtsradikaler Ansichten transformiert werden.“ Das ist unwahr. In einer von ihm mitverfassten Resolution hieß es damals: „Daher bitten wir die Hochschulleitung, Marc Jongen und Thilo Sarrazin endlich von unserer Universität auszuladen.“ Wer den Rektor auffordert, die zentralen Figuren einer Vortragsreihe auszuladen, der will effektiv diese Vortragsreihe verhindern. Zudem hat Schüttpelz meinen eigenen Vortrag, den ich in dieser Reihe gehalten habe, mit einigen seiner Anhängerinnen durch Protestaktionen, die man sonst nur von linksradikalen AStA-Vertretern kennt, so sehr gestört, dass er fast abgebrochen werden musste. Es ist kein Zufall, dass diese beiden Aktionsformen (die Forderung, eine universitäre Veranstaltung abzusagen, Störaktionen gegen Redner) wesentliche Elemente woker Aktionisten sind.
Schüttpelz behauptet weiter, die Vortragsreihe sei „nicht nur universitätsöffentlich, sondern öffentlich“ gewesen. Auch das ist unwahr. Nur Universitätsangehörige durften die Vorträge besuchen. Und schließlich behauptet Schüttpelz, ich hätte „so getan“, als würden bei den Vorträgen „curricular relevante Diskussionen stattfinden, nämlich im Rahmen seines Seminars ,Denken und Denken lassen‘. Was aber nicht der Fall war, denn Dieter Schönecker hat die betreffenden Diskussionen mit Jongen und Sarrazin zwar geleitet, aber zum Thema des Seminars wurde von ihm dabei gar nicht diskutiert. Genauer gesagt, hat Dieter Schönecker mit Sarrazin und Jongen überhaupt nicht diskutiert, mit keiner einzigen Äußerung seinerseits, mit keinem einzigen Argument.“ Das ist unwahr. Ich habe einleitend Stellung bezogen; vor allem aber waren die Vorträge in ein Seminar eingebettet, dessen Teilnehmer, vorbereitet durch die Lektüre J. St. Mills und zeitgenössischer Autoren, die Vortragstexte vorab gemeinsam mit mir lesen mussten, um dann als Erste kritische Fragen an die Referenten zu stellen.
Nun zu Schüttpelz‘ Überlegungen zur Wissenschaftsfreiheit, die mich allerdings, wie schon bemerkt, ob ihrer Verworrenheit ratlos zurücklassen: Die Universität sei „keine politische, sondern eine wissenschaftliche Agora“ (auch wenn er zugleich schreibt, dass sie es in „hochschulpolitischer Hinsicht“ durchaus sei); er meint, dass „es keinen Anlaß gibt, an einer Universität politische Veranstaltungen ‚wie außerhalb‘ abzuhalten“. Aber was genau bedeutet das? Vielleicht reagiere ich als Philosoph besonders sensibel auf Gedankengänge, deren argumentative Struktur sich auch nach zweimaligem Lesen kaum erschließt. Was also will Schüttpelz uns sagen? Dass Politiker die Universität nicht für Wahlkampfzwecke nutzen dürfen? Geschenkt, aber das haben weder Sarrazin (der ja gar kein Politiker ist) noch Jongen noch Volker Beck getan. Will er nur sagen, „dass es keinen nicht-wissenschaftlichen Anspruch auf Repräsentation an einer Universität geben kann“, so dass etwa (sein Beispiel) Christian Lindner kein Recht hat, Vorträge auf einem Campus zu halten? Natürlich hat Lindner das nicht, aber wer hätte das je behauptet? Will er denn vielleicht sagen, dass Wissenschaftler Politikerinnen nicht zu Vorträgen einladen dürfen? (Vielleicht ist das der Hintergrund für seine wiederholte, wenn auch nicht präzisierte Erwähnung Volker Becks; dieser war vor kurzem an die TU Berlin zur „Sommerakademie 2024: Antisemitismus und Antisemitismusprävention im Bildungsbereich“ eingeladen, wo er einen Vortrag über „Jüdische Feiertagspraxis und deutsches Feiertagsrecht – Religionsfreiheit und Alltag“ halten sollte und dann auch gehalten hat, obwohl israelfeindliche Aktivisten das verhindern wollten; nach dem Vortrag wurde Beck trotz einer großen Zahl von Polizisten bedrängt und beschimpft.) Aber das wäre offenkundig falsch, weil es gute wissenschaftliche Gründe geben kann, Nicht-Wissenschaftlerinnen einzuladen oder Menschen, die Wissenschaftler und Politiker sind, oder auch solche, die Wissenschaftlerinnen und Richterinnen sind oder Richter und keine (aktiven) Wissenschaftler, oder Politiker und keine aktiven Wissenschaftler, usw. usf. Wenn Wissenschaftler Volker Beck zu einem Vortrag einladen und dies aus wissenschaftlichen Gründen tun, spricht selbstredend nichts dagegen; denn sie sind frei, dies zu tun. Das gleiche gilt für Jongen, solange er keine AfD-Werbung betreibt (und das hat er in Siegen nicht getan). Im Übrigen dürfen solche Vorträge auch im Rahmen der sog. Third Mission der Universität stattfinden (wenn ich auch die ganze Idee einer solchen Third Mission insgesamt eher skeptisch sehe).
Schüttpelz erläutert nicht, was genau ,politisch‘ bedeutet. Er kann unmöglich bestreiten, dass bestimmte Fächer und Disziplinen ihrem Wesen nach selbstverständlich und mit guten Gründen politisch sind, und zwar keineswegs nur hochschulpolitisch, sondern genuin politisch und zumindest indirekt politisch engagiert (so etwa das Verfassungsrecht, die politische Philosophie, die Ethik); man beachte nur den Titel eines neuen Vortrags der Göttinger Philosophin Christine Bratu: ,Sexismus‘ verstehen, Sexismus bekämpfen. Und wenn Robin Celikates zum zivilen Ungehorsam forscht und diesen gleichzeitig betreibt oder zumindest tagespolitisch verteidigt (wie ja auch im umstrittenen „Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten“: https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSfVy2D5Xy_DMiaMx2TsE7YediR6qifxoLDP1zIjKzEl9t1LWw/viewform), dann wird Schüttpelz das wohl kaum kritisieren wollen. Schüttpelz wendet sich „gegen ein ,Allgemeines Politisches Mandat‘ an den Hochschulen“. Abgesehen davon, dass er auch diesen Begriff überhaupt nicht erläutert, schränkt er seine Position zweifach ein, so dass nicht klar ist, was er denn nun eigentlich sagen will: Er sei nämlich keineswegs gegen ein solches ,Mandat‘, „wenn es aus den wissenschaftlichen Fächern erwächst, und Teil einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung ist oder wird“; dann wiederum schreibt er, es sei zu falsch zu glauben, „daß man politische Entscheidungen wissenschaftlich begründen kann oder wenn man es zu können glaubt: daß man sie wissenschaftlich begründen sollte. Eine politische Position, die eine politische Entscheidungsfindung an die Universität, in ein Fach oder in eine bestimmte Forschung delegiert, kann kein Ziel sein.“ Letzterem stimme ich zu, wenn das eine Kritik an dem Slogan „Follow the science“ sein soll; aber was hat das mit dem Fällen Sarrazin oder Beck zu tun, und inwiefern sollte das im Widerspruch stehen zu der Tatsache, dass manche Wissenschaften genuin politisch sind?
Zum Schluss wiederholt Schüttpelz noch einmal: „Der Staat muss dafür sorgen, dass der Staat die Wissenschaft vor nicht-wissenschaftlichen Abhängigkeiten und vor sich selbst, also vor dem Staat und vor anderen politischen Bestrebungen schützt.“ Gemünzt auf den Fall Stark-Watzinger ist das natürlich richtig, und in der Tat habe ich Schüttpelz‘ kritische Stellungnahme ja auch unterschrieben. Aber das sei, so Schüttpelz, auch schon der „entscheidende Punkt der seinerzeitigen Siegener Kontroverse“ gewesen. Das wäre aber nur dann wahr, wenn er damit die Vorgehensweise des damaligen Dekans als Repräsentanten des Staates meinte, der die Veranstaltung am liebsten verhindert hätte ‒ was Schüttpelz ja gerade unterstützt hat. Schüttpelz gehörte auch nicht zu denjenigen, die Geraldine Rauch kritisiert haben, als diese nicht nur das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit, sondern damit auch einige ihrer TU-Professoren mit einer Schmutzkampagne attackierte, wie es sich in jüngerer Vergangenheit noch keine Präsidentin einer Universität jemals erlaubt hatte, nur um sich kurz danach auch noch selbst mit antisemitischen Ausfällen zu entlarven. Die aktuelle Hetzkampagne gegen die Antisemitismusforscherin Julia Bernstein wird Schüttpelz vermutlich für eine Form zivilen Ungehorsams halten.