… eigentlich eine Aufgabe der Wissenschaftspolitik

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Schutz der Freiheit von Forschung und Lehre gegen Zensur und Manipulation1

Gebhard Geiger, TUM

 

I. Einführung

Versuche politischer Weltanschauungen beziehungsweise ihrer Anhänger, in Forschung und Lehre eine wissenschaftsfremde Meinungsherrschaft vom Typ der political correctness durchzusetzen, sind nicht neu. Von den Hochschulunruhen der 1960er- und 70er-Jahre bis hin zur jüngsten politischen Parteinahme zugunsten des Islamismus und seiner – wenngleich nachgeordneten – Rolle im Nahostkonflikt dienten sie durchgängig diesem Ziel. Und in allen diesen Fällen wirkte die Agitation ihrer Parteigänger weit in sozial- und kulturwissenschaftliche Lehrgebiete hinein. Dort trug sie dazu bei, den ideologischen Treibsatz für politische Konflikte zu zünden.

Es ist davon auszugehen, dass Wissenschaftsfreiheit auch in Zukunft gegen politisch-ideologische Zensurversuche immer wieder neu durchgesetzt werden muss. Denn neben Agitation, Indoktrination und Propaganda dient die Zensur im politischen Meinungskampf als eine äußerst wirksame „Unterstützungsmaßnahme“. Ein Anreiz, unerwünschte wissenschaftliche Befunde zu leugnen oder zu unterdrücken, besteht im politischen Meinungsstreit für die Konfliktparteien immer. Er ist dort sogar besonders hoch. Denn bei strittigen politische Auffassungen oder Zielen, die im Gegensatz zu irgendwelchen wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen, geht es nicht darum, wer theoretisch oder methodisch über die stärkeren Argumente beziehungsweise die tauglicheren Erkenntnismethoden verfügt. Vielmehr geht es um die Durchsetzung grundlegender, weitreichender Herrschaftsinteressen, insbesondere von solchen der Meinungsherrschaft in öffentlichen Debatten. Unscharf, aber suggestiv ausgedrückt: Die Wissenschaft wird unter diesen Bedingungen zur Konfliktpartei und als solche auch behandelt. Der Anreiz, wissenschaftliche Erkenntnisse zu manipulieren, hat mit wissenschaftlicher Erkenntniskritik dann nichts mehr zu tun, wird aber in Geschichte und Politik voraussichtlich immer wieder neu entstehen und hartnäckig wirksam bleiben.

Es gehört zunächst zu den Aufgaben der Wissenschaft selbst, Sinn und Funktion der Wissenschaftsfreiheit im Spannungsfeld zwischen politischem Interesse und wissenschaftlicher Erkenntnis mittels ihrer „hauseigenen“ wissenschaftlichen Methoden zu bestimmen und sie in Forschung und Lehre zu erfüllen. Dazu bedarf es einer angemessenen Klärung (begrifflichen, theoretischen Präzisierung) elementarer, aber strittiger wissenschaftstheoretischer und wissenschaftssoziologischer Zusammenhänge. „Angemessen“ heißt, die Klärung darf weder vor fachlichen noch vor fachfremdenden, weltanschaulich bestimmten Grenzen haltmachen. Sie erfolgt sowohl fachbezogen als auch interdisziplinär und muss dabei sowohl methodisch (regelgeleitet) als auch methodisch korrekt vorgehen, das heißt die verwendeten Methoden müssen hinreichend „valide“ sein. Andernfalls sind wissenschaftliche Ergebnisse nicht sinnvoll nachprüfbar, das heißt der Kritik nicht zugänglich. In diesem – methodologischen – Sinne erfordern sie, Erkenntnis, politische Interessen und weltanschauliche Einstellungen trennscharf auseinanderzuhalten – begrifflich, theoretisch und praktisch. Zuverlässige, leistungsfähige Unterscheidungskriterien sind hierzu notwendig, um zu verhindern, dass methodisch geprüfte beziehungsweise zu prüfende Erkenntnis in politischer, propagandistischer Absicht verfälscht oder eingeschränkt wird. Sie tragen weiterhin dazu bei, dort, wo Zensur und Manipulation betrieben werden, bereits den Versuch hierzu aufzudecken, dagegen einzuschreiten und die politisch motivierte Fälschungsabsicht, die dahintersteht, kenntlich zu machen.

Die geforderten Unterscheidungen machen zudem verständlich, dass und warum es sich auch um eine wohlverstandene, aber klar unterschiedene wissenschaftspolitische Aufgabe handelt, die Zensurbestrebungen der political correctness und ihre praktische Umsetzung auf wissenschaftlichem Gebiet zu unterbinden. Die Lösung dieser Aufgabe wird entsprechend nicht nur von der Forschung getragen und auch nicht allein von der grundgesetzlichen Garantie der Freiheit der Wissenschaft. Sie beruht wesentlich auch auf dem politischen Willen, sie gegen ideologisch motivierte Angriffe durchzusetzen. Das heißt, sie ist mit dem gebotenen Aufwand und Nachdruck und ebenso medien- und öffentlichkeitswirksam, kurz, möglichst offensiv zu betreiben. In der Erziehung, Ausbildung und methodologischen Schulung jeder neuen Wissenschaftlergeneration ist plausibel zu machen, dass ihr Sinn als Verfassungsnorm nicht liberal- oder konservativ-weltanschaulicher, sondern pragmatischer Natur ist: Es handelt sich um eine sachlich und praktisch notwendige Voraussetzung, wissenschaftliche Befunde überhaupt zuverlässig und methodisch korrekt nachweisen zu können.

Denn, erstens, begründet die grundgesetzliche Garantie der Wissenschaftsfreiheit nicht nur ein Staatsabwehrrecht gegenüber Eingriffen von Regierungen, Parlamenten, Ämtern und Behörden in die Wissenschaftsautonomie. Sie verpflichtet vielmehr auch die staatlichen Organe sowie die der akademischen Selbstverwaltung zum Schutz vor, und zur Abwehr von politischen, weltanschaulichen, religiösen, …. Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit (Zensur, physischer Zwang, Gewaltandrohung/-anwendung, …) durch einzelne Personen oder Gruppen.

Zweitens, unabhängig von der Wissenschaftsfreiheit als einer Grundgesetznorm stellt der rein methodisch geregelte, wissenschaftliche Erkenntnisvorgang und seine Offenheit gegenüber fachlicher Kritik einen inhaltlichen Anspruch, den zu wahren eine wissenschaftspolitische Aufgabe ist. Denn wird wissenschaftliche Betätigung der Zensur – welcher Art und Absicht auch immer – unterworfen, muss sie notwendig scheitern, das heißt, sie wird durch die Zensur des für sie spezifischen Erkenntnisertrags beraubt. Wissenschaft ist definitionsgemäß auf einen engen Kanon der logisch korrekten Begriffs-, Hypothesen- und Theoriebildung, methodischer Beleg- und Prüfverfahren („Kritik“) und der experimentellen (theoretischen, argumentativen, …) Bestätigung beschränkt. Werden zur Meinungsbildung andere als diese Verfahren eingesetzt (Agitation, Drohung, Belohnung/Bestechung, Indoktrination, Zensur, …), verliert wissenschaftlich approbiertes Wissen nicht nur seine Eigenschaften der (wie auch immer unvollständigen, begrenzten) Bestätigung und Verlässlichkeit, sondern auch seinen praktischen Wert für die gesellschaftlichen Verwendungen in Technik/Industrie, Medizin, Wirtschaft, Verwaltung, Justiz oder Politik.

 

II. Zentrale wissenschaftspolitische Voraussetzungen und Aufgaben

  1. Nach Abschnitt I ist Wissenschaftsfreiheit über ihre grundgesetzliche Garantie hinaus eine gleichermaßen logisch (d. h. definitionsgemäß) notwendige wie sachlich gebotene „Betriebsbedingung“ für Forschung und Lehre.
  2. Die Wahrung der Wissenschaftsfreiheit ist eine dauernde, immer wieder neu zu lösende Aufgabe der Wissenschaft und Wissenschaftspolitik. Als solche ist sie nicht nur an die Abwehr konkreter, aktueller Bedrohungen vom Typ der political correctness gebunden. Sie erstreckt sich grundsätzlich auf jede Art der weltanschaulichen Einflussnahme auf die systematische, kritische Prüfung von Wissen, aber auch umgekehrt auf die wissenschaftliche Kritik weltanschaulicher Dogmen und Meinungen.2
  3. Wesentlich ist weiterhin die Unterscheidung zwischen (zufälligen, unbeabsichtigten, methodisch-fehlerhaften, …) Irrtümern der Wissenschaft einerseits und dem gezielten, absichtlichen, planmäßigen („strategischen“) Gebrauch pseudowissenschaftlicher Thesen und Behauptungen zu Agitationszwecken andererseits. Im ersten Fall bedarf es zur Aufklärung „nur“ der Korrektur von Irrtümern, im zweiten Fall zudem einen politischen Überzeugungs- und Interessenkampf gegen willentliche Missbrauchsabsichten.
  4. Das NWF versteht seine Aufgabe als offensiv. Das heißt, es beschränkt sich nicht auf die Verteidigung wissenschaftlicher Ergebnisse gegen Bezichtigungen der political incorrectness. Es betreibt vielmehr aktiv Aufklärung gegenüber jeglichen Dogmen und Manipulationspraktiken zugunsten einer politisch-weltanschaulich motivierten Meinungsherrschaft in der Wissenschaft.

 

III. Ausgewählte Beispiele (lose Auflistung von Stichworten und Thesen zum Thema)3

  1. Wert- und Normurteile als nicht wissenschaftlich begründeter und nicht als solcher begründbarer Ausdruck subjektiver Einstellungen, ideologischer Dogmen, unkritischer („gesinnungsethischer“) usw. Werthaltungen. Missbrauch von Wert- und Normurteilen zur systematischen Diskreditierung wissenschaftlicher Befunde als politically incorrect (rassistisch, sexistisch, diskriminierend, …).
  2. Begrifflich korrekte Unterscheidung von Wissenschaft als Erkenntnisprozess und ihrem (pragmatischen) Entstehungs- oder Anwendungskontext. Hierzu folgende These: Political (in)correctness ist für keine von beiden, weder für wissenschaftliche Erkenntnis noch für deren (wie immer nützliche) Anwendung, ein sinnvolles Kriterium, wohl aber ein Attribut, das sich zum Diskreditieren unerwünschter Meinungen und als wohlfeiles rhetorisches Mittel der Brunnenvergiftung eignet.
  3. Wissenschaftliche Erkenntnis bedarf keiner demokratischen Legitimation, wohl aber der methodisch korrekten Begründung und Kritik. Unterscheidung von Legitimation und Erkenntnis, Berechtigung und Begründung.
  4. Klärung der Stellung biologisch-wissenschaftlicher Erkenntnis in den Sozialwissenschaften (Rassismus, Sexismus, angeborene menschliche Eigenschaften, soziales Verhalten …). Unter diesen Themenkomplex fällt eine Fülle wissenschaftstheoretischer Fragen, die aber grundsätzlich nicht mehr und nicht weniger lösbar erscheinen als wissenschaftstheoretische Fragen im Allgemeinen. Mit den Forderungen nach political correctness werden sie in aller Regel geradezu mit Füßen getreten, statt dass an ihrer Klärung systematisch gearbeitet wird.
  5. Klärung und Kritik „postmoderner“ wissenschaftstheoretischer Ansätze (Strukturalismus, Poststrukturalismus, Sozialkonstruktivismus, …), auf die sich die Forderungen nach political correctness oft stützen. Vom methodologischen Standpunkt aus betrachtet, zeigen sie sich oft als begriffliche und theoretische Scharlatanerie denn als geeignetes, begriffliches und erkenntniskritisches Instrumentarium der Forschung. Bei dieser Einschätzung geht es nicht um den Anspruch irgendeines allgemeingültigen, dogmatischen Wissenschaftsverständnisses, sondern um eine kritische Einstellung gegenüber Erkenntnisprozessen, der Validität ihres methodischen Instrumentariums und ihrer (vorläufigen) Ergebnisse. Die Vermittlung solcher kritischen Einstellungen sind zentrale Aufgaben der Wissenschaftspolitik, der Erziehung (!) und der Bildungspolitik im Allgemeinen.
  6. Wie jedes menschliche Unterfangen unterliegt wissenschaftliche Erkenntnis physischen, praktischen, historischen, ökonomischen, rechtlichen, gesellschaftlichen, … Voraussetzungen, Randbedingungen, mehr oder weniger absehbaren Folgen, Risiken usw. Die Wissenschaftsfolgen können ihrerseits Gegenstand einer rechtlichen, ethischen, … Regelung und Bewertung sowie dem politischen Meinungskampf ausgesetzt sein. Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit stützen sich daher typischerweise auf die Behauptung, die Wissenschaft und die Verwendungsabsichten für ihre Ergebnisse seien ohnehin nicht frei („wertfrei“) im Sinne von wertneutral, sondern grundsätzlich politisch, rechtlich oder ethisch „relevant“ (Beispiel: die Kernphysik und der mögliche militärische Kernwaffengebrauch). Im Gegensatz hierzu dient die Forderung nach Wissenschaftsfreiheit nicht dazu, den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt gegen normative Einwände zu immunisieren, sondern die Erkenntnis eines Sachverhalts (Wissenschaft) von dessen (politischer) Bewertung zu unterscheiden. Weiterhin verlangt die Forderung nach Wissenschaftsfreiheit, diese Unterscheidung im Forschungsprozess rigoros durchzusetzen selbst dann, wenn der fragliche Sachverhalt gleichzeitig Gegenstand der Erkenntnis und der Bewertung/Normierung ist. Wer beide Aufgabenstellungen verfolgt, sollte jede auf jeweils methodisch korrekte und klar unterschiedene Art und Weise herausarbeiten statt ihre Unterschiede nach Dunkelmännermanier zu verwischen, um dann von wissenschaftlichen Ansprüchen unbehindert gegen die Wissenschaftsfreiheit in ideologischer, politischer, … Absicht nach Belieben agitieren zu können.

 

IV. Schlussbemerkung4

Viele der in Abschnitt III skizzierten Aufgaben werfen zudem Probleme erkenntnisphilosophischer, rechtswissenschaftlicher, historisch-wissenschaftlicher, statistischer und anderer Art auf. Sie eröffnen dem NWF ein weites interdisziplinäres Betätigungsfeld, selbst wenn man dieses einschränkt – wie in Fußnote 3 nahegelegt.

 

 

 

1 Der Beitrag soll eine verstärkte wissenschaftspolitische Tätigkeit des Netzwerks anregen und hierfür Themen- und Tätigkeitsfelder benennen, sie aber gleichzeitig auf solche wissenschaftspolitischen Fragen eingrenzen, die mit Gefährdungen der Wissenschaftsautonomie in unmittelbarem Zusammenhang stehen. – Im Text werden die Bezeichnungen „Wissenschaftsfreiheit“ und „Wissenschaftsautonomie“ synonym verwendet, sind jedoch nicht gleichbedeutend mit „Hochschulautonomie“ im Sinne der akademischen Selbstverwaltung. – Hinsichtlich des zugrundeliegenden Wissenschaftsbegriffs, siehe den Beitrag des Autors „Herrschaft statt Wissenschaft“ im Jahrbuch für Wissenschaftsfreiheit, 1. Band, Berlin 2024.

2 Diese Aufgabe hatte man anscheinend vor einigen Jahrzehnten beim Bund Freiheit der Wissenschaft (BfW) nicht gesehen. Der BfW löste sich selbst auf, als der unmittelbare Einfluss des Marxismus auf den Wissenschaftsbetrieb nachgelassen hatte. Dass sich der nächste großangelegte, politisch-ideologisch motivierte Angriff auf die Wissenschaftsautonomie damals bereits zu formieren begann, hatte man beim BfW nicht erkannt, auch nicht, dass es sich bei Gefährdungen dieser Art um ein grundsätzliches Problem des Verhältnisses von Wissenschaft zu Politik und Gesellschaft handelt. Bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes hatte man im Parlamentarischen Rat 1948/49 für die historische Reichweite dieser Problematik ein deutlicher angemessenes Verständnis gezeigt, indem man die Wissenschaftsfreiheit zur Grundgesetznorm erhob.

3 Es wird nicht empfohlen, auf den im Folgenden genannten oder anderen, ähnlichen Gebieten eigene Forschungsarbeiten durch das NWF zu betreiben, sozusagen in Konkurrenz zu den einschlägigen Fachdisziplinen. Vorschlagsgemäß ist vielmehr gedacht an Analysen, Kritik, Öffentlichkeitsarbeit (Jahrbuch Wissenschaftsfreiheit, Vortragsreihen, Medien, Tagungen, …) über die planmäßige Verbreitung von Ideologien zwecks Zensurausübung im Einzugsgebiet der Wissenschaften.

4 Weitere Perspektiven des Verhältnisses von Wissenschaftsautonomie und Wissenschaftspolitik ergeben sich aus der Gegenüberstellung von anwendungsorientierter Forschung und „Agendawissenschaft“. Näheres hierzu im Beitrag des Autors zum workshop der FG Philosophie in Siegen im Juli 2025 (in Vorbereitung).