Über einige sachliche Fehler in der aktuellen Duden-Grammatik

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Über einige sachliche Fehler in der aktuellen Duden-Grammatik

1. Der Grammatik-Duden und seine Relevanz

Der Duden war bislang der sprichwörtlich gewordene kodifizierte Standard der deutschen Sprache. Dies galt insbesondere durch das jahrzehntelange Monopol, in sprachlichen Zweifelsfällen in Bezug auf Orthographie und Interpunktion die maßgebliche letzte Referenz zu sein. Von der Öffentlichkeit immer noch nicht so recht registriert, wurde dem Duden dieses Monopol bereits mit der Installation des Rats für deutsche Rechtschreibung als Konsequenz aus den erheblichen Widerständen gegen die sog. Rechtschreibreform der 90er Jahre entzogen. Bis vor wenigen Jahren galt der Duden sowohl in orthographischer wie auch grammatikalischer Hinsicht als wichtigste Referenz zur deutschen Sprache. Mit dem Aufkommen der Debatte um Gendersprache hat sich dies jedoch nachhaltig verändert: die ideologische Schlagseite der derzeitigen Duden-Redaktion ist für viele Beobachter unübersehbar geworden [1] und immer mehr Menschen wenden sich alternativen Wörterbüchern wie dem Wahrig [2] oder dem online-Wörterbuch der deutschen Sprache [3] zu. In dieser Hinsicht kommt neuen Publikationen aus dem Duden-Verlag nun eine wichtige Signalwirkung zu: Verstärkt sich der ideologisch-moralisierende Trend weiter oder kommt es zu einem Zurück zu einer sachlicheren und auf größere Breitenwirkung angelegten Vorgehensweise? Wie im Folgenden gezeigt wird, erweist sich auch der aktuelle Grammatik-Duden als Zeugnis einer aktivistischen – und somit Standards von Ausgewogenheit und Neutralität verletzenden – Verlagspolitik, die den Kritikern des Duden weiteren Auftrieb geben wird. Dies soll exemplarisch deutlich gemacht werden anhand der Passagen zum sog. generischen Maskulinum im aktuellen Grammatik-Duden.

 

2. Die Passage zum Genus im aktuellen Grammatik-Duden

Dem Thema des grammatischen Genus der Substantive widmet der aktuelle Grammatik-Duden weniger als eine ganze Druckseite. Gemessen an der öffentlichen Diskussion über sog. generische Maskulina erscheint das zunächst wenig und könnte ein Anzeichen für eine gewisse Zurückhaltung sein. Leider ist aber auch im eigentlich Wenigen eine Fülle an Falschaussagen oder unzureichend belegten Behauptungen zu finden, die den Grammatik-Duden als (vermeintlich) wissenschaftliche Referenz schlicht disqualifizieren. Im Folgenden eine Auflistung einiger dieser Punkte:

(2.1) Im Grammatik-Duden wird auf die Verwechslung von Genus und Sexus gar nicht erst eingegangen. Das Genus von Substantiven ist eine grammatikalische Kategorie, für die die Bezeichnung „Klasse“ mittlerweile angemessener erscheint. Denn Substantivklassen verschiedenster Ausprägung gibt es in sehr vielen Sprachen, sogar etwa im Chinesischen, dass Substantive beim Zählen, für das bestimmte Zahlsubstantive erforderlich sind, in Klassen einteilt. Nebenbei: das geschriebene Chinesisch kennt auch unterschiedliche Personalpronomina für männliche und weibliche Personen(gruppen) und verwendet für gemischtgeschlechtliche Gruppen in der Mehrzahl auch die Bezeichnung für rein männliche Personengruppen. Dass die drei Substantivklassen des Deutschen die Bezeichnung Genus/Geschlecht haben und dass dafür die Wörter männlich/maskulin resp. weiblich/feminin resp. sächlich/neutral haben, ist ein Relikt der traditionellen altphilologischen Grammatik, die insbesondere den Verhältnissen im Latein und Altgriechischen gerecht zu werden versucht (und auch das nur mit beschränktem Erfolg). Die Willkürlichkeit der Klassenbezeichnungen der deutschen Sprache wird an den durch Mark Twain [4] berühmt gewordenen Beispielen wie „Mädchen“ deutlich gemacht. Nebenbei: dass die zahlreichen nicht zur Klasse 2 (traditionelle Bezeichnung: feminines Genus) gehörenden Personenbezeichnungen für weibliche Menschen in manchen deutschen Dialekten (z.B. in Teilen des Saarländischen) dazu geführt werden, dass auf Frauen/Mädchen mit dem Personalpronomen „es“ und dem Possessivpronomen „sein“ referenziert wird, fällt hier wie selbstverständlich unter den Tisch.

(2.2) Ebenso wenig wird der Ausdruck „generisch“ näher erklärt und zwar insbesondere nicht darauf hin, dass „generisch“ im Sinne von „das biologische resp. soziale Geschlecht übergreifend“ oder sogar eher „das biologische resp. soziale Geschlecht neutralisierend“ bzw. „vom biologischen resp. sozialen Geschlecht abstrahierend“ gemeint ist und dass dies sich sowohl auf Klasse 1 (herkömmliche Bezeichnung: maskulines Genus), Klasse 2 (herkömmliche Bezeichnung: feminines Genus) wie auch auf Klasse 3 (herkömmliche Bezeichnung: neutrales Genus) beziehen kann. So kann „Lehrkraft“ ebenso als generisches Femininum gebraucht werden wie „Gans“, wobei letzteres zu „Gänserich“ movierbar ist, und „Kind“ ist als generisches Neutrum zu betrachten, dass durch Adjektive moviert werden kann („männliches Kind“ vs. „weibliches Kind“).

(2.3) Im Grammatik-Duden wird sodann behauptet, die generische und die spezifisch männliche Bedeutung von maskulinen Substantiven seien oft nicht voneinander zu trennen. Eine empirische Evidenz für diese Aussage wird nicht gegeben – sie ist auch zweifelhaft, denn seit gut 1.000 Jahren (also seit ihrem Entstehen) verwendet die deutsche Sprache in all ihren Sprachstufen und Dialekten Maskulina (auch) in generischer Form. [5] Wären Missverständnisse häufig, hätte die Sprache schon längst für Differenzierungen gesorgt. Belege aus der Literatur bis 1970 zu derartigen Missverständnissen sind jedoch so gut wie unbekannt, danach finden sich von der sog. feministischen Linguistik bewusst konstruierte Beispiele, die eher die Behauptung unterstützen, die feministische Linguistik kämpfe gegen ein Phänomen, dass sie selber erst geschaffen habe.

(2.4) Es wird im Grammatik-Duden behauptet, das Wort „Wüterich“ sei eine movierte Form. Dies ist falsch, denn eine movierte Form ist Komplement zu einer unmovierten (und damit i.d.R. generisch verwendbaren) Form. Ein etwaiges Wort *Wüte (analog „Hexe“) existiert in der deutschen Sprache aber nicht. „Wut“ hingegen beschreibt eine Emotion, keine Person – und etwa zu behaupten, die selten gebrauchten Fälle, in denen „Wut“ (analog „Freiheit“) als Personifikation verwendet wird, seien die Grundlage für die Movierung, erscheinen weit hergeholt, zumal es einen massiven Bedeutungsunterschied zwischen der „Wut“ und dem „Wüterich“ gäbe, sodass hier keineswegs mehr von einfacher Movierung, sondern allerhöchstens von Derivation gesprochen werden könnte.

(2.5) Der Grammatik-Duden nennt das Wort „Hexerich“ als weiteres Beispiel für eine movierte Form. Dieses Wort erscheint aber eher sprachunüblich. Zwar finden sich im Internet in der Tat ein paar Einträge – die übliche Form für eine männliche Hexe ist aber „Hexer“ oder – so wollte es das „Spiel des Wissens“ früher – sogar „Hexenmeister“. „Hexerich“ ist eher eine Art Gelegenheitsbildung. Fraglich bleibt allerdings in diesem Kontext, ob die Form „Hexer“ überhaupt als movierte Form zu betrachten ist oder nicht eher als Nomen agentis zu „hexen“. Denn ein einmal moviertes Substantiv kann ja nun nicht erneut moviert werden, für die Form „Hexerin“ finden sich aber auch sofort Sprachbeispiele im Internet (und zwar keineswegs weniger als für „Hexerich“).

(2.6) Und auch bei dem Wort „Witwer“ ist fraglich, ob es sich wirklich um eine movierte Form handelt. Denn zum einen erscheint ein generischer Gebrauch des Wortes „Witwe“ im Deutschen unüblich, genau wie dies für andere Verwandtschaftsnamen gilt („Geschwister“ ist ungleich „Brüder“, „Vater und Mutter“ werden im Deutschen nicht wie im Spanischen [„los padres“] zu „Vätern“, sondern zu „Eltern“ usw.). Und auch sprachhistorisch kann „Witwer“ durchaus durch Assimilation von mhd. „witherr“ (o.ä.) hergeleitet werden. Da es sich bei „Hexer“ und „Witwer“ um die einzigen Beispiele einer (vermeintlichen) Movierung auf -er handelt, steht im Übrigen die Behauptung der feministischen Linguistik, -er sei ein typisch männliches Suffix, auf äußerst tönernen Füßen, was ja nicht zuletzt die Vielzahl von Substantiven auf -er mit femininem („Mutter“, „Schwester“, „Aster“, „Weser“ u.v.m.) und neutralem („Fuder“, „Laster“, „Pflaster“, „Messer“ u.v.m.) Genus in der deutschen Sprache anzeigt.

(2.7) Der Grammatik-Duden behauptet, die männliche Entsprechung zu „Bardame“ sei „Barherr“. Diese Behauptung ist falsch – tatsächlich ist es weder der *Barherr noch ein *Bardamer oder gar *Bardämerich, sondern der vollkommen sprachübliche und in Wörterbüchern gut auffindbare „Barmann“, der in dem Abschnitt aber gar nicht erwähnt wird. Die Tatsache, dass bei diesem Wortpaar die weibliche Entsprechung ein Kompositionsglied mit einem höheren Sprachstatus nutzt, ist übrigens eine latente Geschlechterungerechtigkeit in der deutschen Sprache Männern gegenüber, was vom Grammatik-Duden an dieser Stelle aber in keiner Weise thematisiert wird, sondern mit dem Hinweis auf den fehlenden *Barherr verschleiert wird.

2.8 Ohne nähere Begründung oder Thematisierung wird behauptet, Ausdrücke auf -hilfe oder -kraft seien geschlechtsneutral. Entsprechende psycholinguistische Studien zu Begriffen wie „Putzhilfe“ oder „Pflegefachkraft“ fehlen bezeichnenderweise; die behauptete vermeintliche Geschlechtsneutralität ist mithin keineswegs gegeben, sondern im Gegenteil sehr fraglich und das Fehlen derartiger Kontrollstudien zu generischen Feminina ein klares Symptom für das aktivistische und unwissenschaftliche Vorgehen weiter Teile der sog. feministischen Linguistik und deren politischen Ausläufern. Hierzu sei ein simples Kontrollexperiment vorgeschlagen: Wenn der Satz „Die Lehrkraft betrat den Raum und dann wischte sie die Tafel.“ in psycholinguistischen Studien einen Bias für weibliche Lehrkräfte ergibt, was naheliegend erscheint, ist die im Duden als wahr behauptete vermeintliche Geschlechterneutralität von Formen auf -kraft etc. als Märchen bzw. Wunschvorstellung erwiesen.

 

3. Fazit

Die Vermischung von a) unbelegten (wenn nicht sogar unbelegbaren) Behauptungen bei Auslassung des ideologischen Hintergrundes sowie b) die im Großen wie im Kleinen aufzufindenden sachlichen und fachlichen Fehler (mit dem Ergebnis der Wahrung einer tendenziösen Darstellung des Komplexes der substantivischen Genera) verbunden mit c) dem Fehlen einer neutraler Einführung in die hier wichtige komplexe Begriffswelt zur Beschreibung sprachlicher Phänomene im Bereich Substantivklassen/Genera machen den Grammatik-Duden nicht nur als seriöse wissenschaftliche Referenz unbrauchbar, sondern desavouieren das Werk als Ganzes. Denn wer bereits bei Passagen, von denen angenommen werden darf, dass sie unter besonderem Aufmerksamkeitsfokus stehen, eine derartige Fülle an Schwachstellen und Fragwürdigkeiten in derartiger Dichte aufweist, braucht sich nicht zu wundern, wenn auch die übrigen Teile des Grammatik-Dudens unter den Generalverdacht einer Unbrauchbarkeit aufgrund aktivistischer und mithin unwissenschaftlicher Herangehensweise gestellt werden. Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass der ideologische Hintergrund nicht deutlich gemacht wird (z.B. durch Formulierungen wie „In dieses Buch sind Erkenntnisse der sog. feministischen Linguistik“), sondern dass eine vermeintliche Neutralität suggeriert wird, die aufgrund der in der Bevölkerung noch vorhandenen (Rest-)Autorität schlechterdings als manipulativ zu bewerten ist.
Ähnlich wie im Bereich der Orthographie steht aber glücklicherweise auch im Bereich der Grammatik ein guter Ersatz parat: es handelt sich um den „Grundriss der deutschen Grammatik“ von Peter Eisenberg, der 2021 in Neuauflage in den beiden Teilen „Das Wort“ und „Der Satz“ erschienen ist. [6, 7]

Quellen
[1] https://www.t-online.de/leben/familie/id_89468524/diskussion-um-gendersprache-duden-schafft-generisches-maskulinum-ab.html (zuletzt abgerufen am 29.08.2024).
[2] R.Wahrig-Burfeind, G. Wahrig: WAHRIG. Deutsches Wörterbuch. 9. Aufl., Gütersloh (Brockhaus) 2011.
[3] https://www.dwds.de/ (zuletzt abgerufen am 29.08.2024).
[4] Mark Twain, Kim Landgraf: Die schreckliche deutsche Sprache: Zweisprachig Englisch – Deutsch. Köln (Anaconda) 2010.
[5] https://www.welt.de/kultur/article238287549/Gendern-und-Grammatik-Seit-1000-Jahren-koennen-Frauen-auch-Freunde-sein.html (zuletzt abgerufen am 29.08.2024).
[6] Peter Eisenberg: Grundriss der deutschen Grammatik. Das Wort. 5. Aufl., Heidelberg/Berlin (J.B. Metzler) 2021.
[7] Peter Eisenberg: Grundriss der deutschen Grammatik. Der Satz. 5. Aufl., Heidelberg/Berlin (J.B. Metzler) 2021.