Erhard Schüttpelz: Wenn es uns in den politischen Kram paßt

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Dieter Schönecker schreibt am 13. Juni 2024 auf dem Blog des „Netzwerks Wissenschaftsfreiheit“ zur „Offenen Stellungnahme zum Vorgehen der Bundesbildungsministerin angesichts des offenen Briefes Berliner Hochschullehrer:innen“ folgendes:

„Zu den Unterzeichnern (und mutmaßlich auch Initiatoren) gehören Erhard Schüttpelz und <Zweiter Name>. Auf sie und ganz bestimmt viele andere Unterzeichner der Stellungnahme trifft folgendes zu: Sie berufen sich auf das grundgesetzlich verankerte Recht auf Wissenschaftsfreiheit, das sie aber nicht nur nicht verteidigen, wenn es um Wissenschaftler geht, die sie für irgendwie rechts halten (oder für rassistisch, islamophob, transphob, you name it), sondern das sie mit Füßen treten, wenn es ihnen in den politischen Kram passt. Schüttpelz war an vorderster Front, als er mein Recht darauf, Sarrazin, Jongen, Flaig und Bolz zu Vorträgen einzuladen, beschnitten sehen wollte (etwa durch seine Aufforderung an den Rektor, die Veranstaltung zu verbieten)….“

Ich hatte nicht vor, in eigener Sache tätig zu werden. Allerdings bleibt mir anhand der Wortwahl des Kollegen kaum etwas anderes übrig. Und da es um Wissenschaftsfreiheit geht, gibt es vielleicht für uns alle etwas zu lernen, auch wenn es um „olle Kamelle“ aus der nordrhein-westfälischen Provinz geht. Zumal dann, wenn man heute in die Zeitung schaut, und ein Politiker namens Volker Beck uns mit einer gewaltigen Selbstzufriedenheit entgegengrinst, weil es ihm gelungen ist, die Spielregeln der Universität kunstvoll zu unterlaufen. Und zwar die Spielregeln, die ich hier erst noch vorstellen werde. Hat Volker Beck mich also widerlegt? Aber Spielregeln können immer unterlaufen werden, deshalb sind sie auch nur Spielregeln. Institutionen können dadurch zerstört werden, wenn man kein Gespür dafür hat. Das kann man nicht ausschliessen, sonst wäre das Leben einfach. Wenn man sich an Spielregeln der Universität hält, geschieht das freiwillig. Wenn man sie verletzt, hat man noch nichts bewiesen. Das gilt auch für Dieter Schönecker. Am besten, ich erläutere das in drei Schritten: (A.B.C.)

(A.) Die zitierte Äußerung Dieter Schöneckers ist in einer Hinsicht korrekt:

– Ich gehöre zu den Unterzeichnern und Initiatoren der genannten Initiative. Und diese Initiative ist notwendig. Die Ministerin muss zurücktreten (ceterum censeo).

(B.) Die Äußerung Dieter Schöneckers ist zweifelhaft:

– Es geht um mich und einen zweiten Namen und „ganz bestimmt viele andere Unterzeichner“. Das klingt unreif oder unklar, „ganz bestimmt viele andere“. Und danach fallen viele unschöne Worte, auf die ich nicht eingehen kann, „verlogen“, „dumm“ usw.

Einen kurzen Moment sträubten sich mir alle Nackenhaare, bis ich Dieter Schönecker wieder vor mir sah, äusserst empört und erregt, daß er ausgerechnet „meine“ Stellungnahme unterschreiben musste, weil „sein“ „Netzwerk“ zu lange brauchte oder nichts vorlegte. Seine Invektiven waren daher ein Ausdruck von Schwäche, und die kann ich ihm verzeihen. Der Rücktritt hingegen, er wird stattfinden, und da gehen wir d’accord. Wo gehen wir nicht d’accord, und warum nicht?

(C.) Die Äußerung Dieter Schöneckers ist inkorrekt:

– Ich habe das „Recht auf Wissenschaftsfreiheit“ nicht mit Füssen getreten.

– Ich habe den Rektor nicht gebeten, die seinerzeitige Veranstaltung zu verbieten. Ich habe ihn gebeten, dafür zu sorgen, daß die beiden Veranstaltungen mit Sarrazin und Jongen (von Bolz und Flaig war bei mir nie die Rede, was die Durchführung von Veranstaltungen betraf; und ich schätze die historischen Schriften von Egon Flaig zum Teil sehr) Universitätsveranstaltungen bleiben, und nicht in eine öffentliche politische Veranstaltung zur Repräsentation rechtsradikaler Ansichten transformiert werden. Denn meiner Auffassung nach gibt es keinen Anlaß, an einer Universität politische Veranstaltungen „wie außerhalb der Universität“ abzuhalten; und es gibt keinen Grund, Veranstaltungen abzuhalten, die den inneren Frieden einer Universität gefährden, indem sie die Herabsetzung und Ausgrenzung von Kommiliton_innen in Kauf nehmen. Und der Rektor hatte das Hausrecht, das zu verhindern. Daß er das nicht getan hat, war ebenfalls sein gutes Recht, und es war sein Zugeständnis an den Kollegen Schönecker, der so getan hatte, als würden bei diesen öffentlichen Veranstaltungen (denn mit Anmeldung waren sie nicht nur universitätsöffentlich, sondern öffentlich) curricular relevante Diskussionen stattfinden, nämlich im Rahmen seines Seminars „Denken und Denken lassen“. Was aber nicht der Fall war, denn Dieter Schönecker hat die betreffenden Diskussionen mit Jongen und Sarrazin zwar geleitet, aber zum Thema des Seminars wurde von ihm dabei gar nicht diskutiert. Genauer gesagt, hat Dieter Schönecker mit Sarrazin und Jongen überhaupt nicht diskutiert, mit keiner einzigen Äußerung seinerseits, mit keinem einzigen Argument.

Diese Klausel, nämlich „daß es keinen Anlaß gibt, an einer Universität politische Veranstaltungen ‚wie außerhalb‘ abzuhalten“, gilt im übrigen meiner Auffassung nach auch für liberale und linke Politiker_innen, also z.B. für S. Wagenknecht oder Chr. Lindner. Und ich halte es für das gute Recht eines Rektorats, im Falle politischer Veranstaltungen von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen, aber nicht um die politische Meinungsbildung zu behindern, sondern weil eine Universität keine politische, sondern eine wissenschaftliche Agora ist. Sofern und soweit sie überhaupt eine Agora sein kann. Denn das Agorasein der Universität ist eher ein Nebeneffekt der Lehre und der Forschung. (Eine notwendige Ergänzung dieser Feststellung erfolgt unten.)

Ich finde nicht, daß jeder Universitätsprofessor oder jeder Universitätsdozent das Recht hat, unter dem Deckmantel der Wissenschaft oder unter Berufung auf seine Wissenschaftsfreiheit politische oder öffentliche politische Veranstaltungen an seiner Universität oder an anderen Universitäten abzuhalten, wie es ihm gefällt. Wenn die Universität zur politischen Agora wird, und zumal in Wahlkampfzeiten zur politischen Agora wird, sind wir verloren. Das war bereits einmal der Fall, und mündete im Faschismus. Immerhin gibt es ein Neutralitätsgebot für die verbeamteten Professoren, das uns hoffentlich vor weiteren Eskalationsschritten bewahren wird. Aber unsere Zurückhaltung ist grossenteils freiwilliger Natur. Wenn wir sie aufgeben, haben wir eine unnötig demolierte Institution. Ich habe keine Lust, meine Universität oder die deutsche Universität einem freien Fall in die politische Öffentlichkeit auszusetzen, wie ihn uns Volker Beck gerade vorgemacht hat. Es ist der Weg in die Hölle. Und wenn der Weg dahin mit guten Vorsätzen gepflastert ist, hat uns Dieter Schönecker dahingehend belehrt, wie solche guten Vorsätze aussehen. Anders gesagt: Er hat gezündelt. Ich wünschte, er hätte es nicht getan. Der Schwefelgeruch liegt seitdem in der Luft.

Abgesehen davon waren seine zwei Einladungen in meinen Augen für die Katz. Einem Hobby-Journalisten wie Sarrazin, der nicht weiß, wie man biologische Statistiken liest, eine politische Bühne an einer Universität zu bieten, und ihm dabei zu suggerieren, er würde wissenschaftlich ernst genommen, halte ich für pervers, und für ein unreflektiertes Benehmen, das sich nicht um die Konsequenzen kümmern will. In der Tat sagte Dieter Schönecker zur Erklärung seiner Handlungsweise, und zwar ganz wörtlich, daß Brauereien nicht für Alkoholismus verantwortlich gemacht werden können. Toller Vergleich! Ist das eines Philosophen würdig? Hol den Schnaps raus, Dieter. Und einen philosophischen Hochstapler wie Marc Jongen (ja, ich habe mir seine Dissertation angeschaut) durch eine Einladung des Philosophischen Seminars der Universität Siegen zu adeln, halte ich für eine Geschmacksverirrung und für politische Naivität, angesichts der Mitgliedschaft in einer Partei, die tatsächlich das „Recht auf Wissenschaftsfreiheit“ mit Füssen tritt. Was Marc Jongen in der Siegener Diskussion immerhin nicht bestritt, sondern nur beschönigte. Klar, diese Partei will Gender-Studies, Postkoloniale Forschung und Klimaforschung abschaffen. Es gibt keine andere, die das will. Wissenschaftsfreiheit sieht anders aus. Im Nachgang ist das auch Dieter Schönecker aufgefallen. Die Intoleranten zu tolerieren, nein sie zu hofieren hat noch niemandem Gutes gebracht. Seitdem sind die Ausführungen Dieter Schöneckers zur Wissenschaftsfreiheit ebenso kleinteilig wie konfus. In stilistischer Hinsicht sind sie ein Desaster.

Allerdings habe ich nie das Recht Dieter Schönecker bestritten, wen auch immer in sein Seminar oder in ein Kolloquium des Philosophischen Seminars einzuladen. Das ist das gute Recht jedes Dozenten, und das möchte ich niemals geschmälert sehen, auch nicht durch Dekanate oder Rektorate. Es ist Teil der Wissenschaftsfreiheit. Und, nur damit wir uns nicht mißverstehen, das galt und gilt auch für Einladungen an Sarrazin, Jongen, Bolz und Flaig. Lad sie doch ein, wenn Du mit ihnen diskutieren willst.

Bei dieser Gelegenheit darf ich darauf hinweisen, daß ich – anders als mein Siegener Kollege – nicht nur keine Inkonsistenz zwischen meinen jetzigen und meinen seinerzeitigen Äußerungen und Handlungsweisen erkennen kann, sondern im Gegenteil bei einem Nachlesen meiner seinerzeitigen Interventionen über die Konsistenz meiner damaligen und heutigen  Positionen – auch wenn der Anlass dieser Feststellung alles andere als erfreulich ist – mehr als erfreut bin. Die Gründe dafür lassen sich jederzeit nachlesen unter:

Dort schreibe ich u.a.:

„Wissenschaft und Politik sind zwei Bereiche unserer Gesellschaften, und vielleicht sogar zwei „Funktionssysteme“, aber sie überschneiden sich auch, schließlich gibt es Forschungspolitik und Hochschulpolitik, es gibt die staatliche und somit politische Verantwortung für die Finanzierung und rechtliche Stellung der Universitäten und ihrer Angehörigen. Ja, sogar die Garantie der Unabhängigkeit der universitären Wissenschaft von Eingriffen des Staates und anderen Eingriffen von außen ist eine staatliche Aufgabe. Das sagt unsere Verfassung, zumindest in ihren von Verfassungsjuristen festgestellten Konsequenzen zum Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes. Wissenschaft und Politik sind daher getrennt, aber dafür müssen auch die Politik und der Staat selbst sorgen. Um es noch einmal zuzuspitzen: Der Staat muss dafür sorgen, dass der Staat die Wissenschaft vor nicht-wissenschaftlichen Abhängigkeiten und vor sich selbst, also vor dem Staat und vor anderen politischen Bestrebungen schützt. Das scheint Herr Lindner nicht verstanden zu haben, wenn er sich vor ein Gebäude der Universität Hamburg stellt und dort Rederecht fordert, nur weil er Politiker ist und glaubt, als Politiker dürfe er überall politische Ansprachen halten. Er sollte lieber einsehen, dass es seine Aufgabe, und gerade die Aufgabe eines Liberalen ist, die Universität vor genau solchen Forderungen zu schützen, und anderen klarzumachen, dass es keinen nicht-wissenschaftlichen Anspruch auf Repräsentation an einer Universität geben kann. Das wäre zumindest die klassische liberale Position. Politische Forderungen nach einer politischen Repräsentation, die an der Universität genauso ausfallen müsse wie außerhalb, sind mit der Wissenschaftsfreiheit nicht vereinbar, und zwar deshalb, weil sie auf eine Abhängigkeit wissenschaftlicher Veranstaltungen von außerwissenschaftlichen Forderungen hinauslaufen würden, also genau jener Zerstörung der Autonomie vorarbeiten, vor der unser Staat laut Verfassung die Wissenschaft schützen soll.“

Meine Argumentation trifft auf zwei mögliche Einwände. Es ist besser, daß ich sie hier offenlege.

Zum einen: Bin ich gegen ein „Allgemeines Politisches Mandat“ an den Hochschulen und der Hochschulen selbst? Ja, das bin ich (dagegen). Allerdings nicht dann, wenn es aus den wissenschaftlichen Fächern erwächst, und Teil einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung ist oder wird. Aber ich glaube nicht, daß man politische Entscheidungen wissenschaftlich begründen kann oder wenn man es zu können glaubt: daß man sie wissenschaftlich begründen sollte. Eine politische Position, die eine politische Entscheidungsfindung an die Universität, in ein Fach oder in eine bestimmte Forschung delegiert, kann kein Ziel sein. Sie wäre ununterscheidbar von der politischen Steuerung und Monopolisierung der betreffenden Forschung. Forschungen, die einer solchen Monopolisisierung entgegenarbeiten oder entgegenträumen, tun dies auf eigene Gefahr, und befinden sich in einer Schieflage, vor der sie nur die Entmonopolisierung und die wissenschaftliche Kontroverse retten kann.

Zum anderen: Wenn ich das „Allgemeine Politische Mandat“ ablehne, was wird dann aus dem Widerstand der Universitäten gegen Drangsalierungen durch eine Obrigkeit, wie wir sie gerade im Fall Stark-Watzinger als willkommenes Gedankenspiel der Nicht-Wissenschaftler erleben dürfen?

So etwa durch den jetzigen Staatssekretär R. Philippi, 9. Mai 2024, Chat im BMBF: “Persönliche Meinung: Wenn sich dadurch eine Art informelle, ›freiwillige‹ und selbst auferlegte Antisemitismus-Klausel für unsere Förderung bei so manchen, verwirrten Gestalten etabliert (bspw so einen Aufruf nun mal eben nicht zu unterzeichnen wg Sorge um die Förderung), hätte ich jetzt ad hoc nix gegen…”. (Quelle:)

(https://www.lehrer-news.de/blog-posts/geleakte-chats-in-der-fordermittel-affare-neuer-staatssekretar-roland-philippi-unter-druck)

Warum ist Herr Philippi noch im Amt? Sein Räsonnement ist grundgesetzwidrig. Er träumt den Traum so vieler Politiker: die Grundrechte durch Ermutigung zur Selbstzensur einzuschränken. Warum ist es uns nicht gelungen, selbst diesen offensichtlichen Feind der Wissenschaftsfreiheit aus dem Amt zu jagen? Wo bleibt das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“? Ich sehe keinen Kommentar, keinen Blog, keine Stellungnahme. Oder habe ich sie übersehen?

(Datum: 17.09.2024, 12:00 Uhr)

Das Abwehrrecht gegen sachfremde Eingriffe ist Teil der Wissenschaftsfreiheit. Politische Angelegenheiten können in jedem Fall soweit thematisiert und ausgetragen werden, soweit die Universität als Institution betroffen ist. Hochschulpolitik ist Politik, und sie fordert alle Statusgruppen einer Universität zur politischen Beurteilung auf. In hochschulpolitischer Hinsicht ist die Universität daher durchaus eine politische Agora. Und wie jede politische Agora schließt sie Möglichkeiten zivilen Ungehorsams ein.

Allerdings sollte man, egal in welcher Statusgruppe, davon absehen, für seine Position eine wissenschaftliche Legitimation zu fordern oder zu behaupten. Das Abwehrrecht der Wissenschaftsfreiheit muss genügen, um die Illegimität externer Eingriffe zu bemängeln und zu bekämpfen. Und in diesem Sinne „extern“ ist auch der Staat selbst, und sind es um so mehr die politischen Parteien egal welcher Couleur. Aber nicht, weil unsere hochschulpolitischen Positionen wissenschaftlicher sind als die der Politiker. Das sind sie nicht. Wenn wir die Geschicke einer Universität soweit wie möglich selbst bestimmen wollen, und im Notfall auch durch Formen zivilen Ungehorsams geltend machen, dann nicht, weil wir schlauer oder in dieser Hinsicht „wissenschaftlicher“ vorgehen als die hochschulpolitisch tätigen Politiker, die uns beobachten oder beurteilen. Sondern weil (und soweit) wir Hochschulangehörige sind, und sie nicht.

Ich wiederhole: „Der Staat muss dafür sorgen, dass der Staat die Wissenschaft vor nicht-wissenschaftlichen Abhängigkeiten und vor sich selbst, also vor dem Staat und vor anderen politischen Bestrebungen schützt.“ Das war der entscheidende Punkt der seinerzeitigen Siegener Kontroverse, und er ist es auch heute in durchaus verwandter Weise in unserer Auseinandersetzung zur Wissenschaftsfreiheit. Und er wird von angeblich „liberalen“ Politikerinnen wie unserer Bundesbildungsministerin und ihrem Staatssekretär – und er wurde leider auch von Prof. Schönecker in seiner damaligen, nicht zu Ende gedachten und  in diesem Sinne schlicht unreflektierten Lust am Provozieren – nicht verstanden. Ich hoffe, daß das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ diesen Tatbestand mittlerweile besser versteht, und daß ich in eigener Sache zur Klärung eines strittigen Sachverhalts beitragen konnte, der uns alle betrifft.

Erhard Schüttpelz, am 18. September 2024