Zum Blog-Beitrag i.S. Maaßen – Anstelle einer Replik




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An dieser Stelle sollte eigentlich eine Replik auf unseren Beitrag in der JSE zur Causa Maaßen, der überwiegend ein positives Echo gefunden hat, bei manchen aber auch auf Kritik und scharfe Ablehnung gestoßen ist, stehen. Leider waren die Kritiker nicht daran interessiert, eine Replik zu verfassen, sondern haben uns persönliche Mails geschrieben, die deswegen nicht abgedruckt und deren Verfasser nicht namentlich erwähnt werden dürfen. Die Kritik ist jedoch einer Entgegnung wert, zu vermuten ist nämlich, dass auch andere sie insgeheim teilen.


1. „Jurastudenten sollten in einer Fachzeitschrift nicht solch polemische Beiträge lesen“

Der Beitrag ist ein Debattenbeitrag, manches ist polemisch überspitzt. Aber das ist in einem Debattenbeitrag, der durchaus zu Widerspruch reizen soll, legitim. Dass Jurastudenten so zartbesaitet sind, dass sie nicht mit polemischen Überspitzungen zurecht kommen, ist unwahrscheinlich. Im Gegenteil zeichnen sich heutige Debatten gerade durch eine besondere Überspitzung aus, der Beitrag ist verglichen mit den meisten Diskussionsbeiträgen in Presse und social media geradezu sachlich. Jedenfalls kann derjenige, der sich am Sprachduktus stört, den Beitrag ignorieren. Dass aber gefordert wird, solche Beiträge zu entfernen, bestätigt unfreiwillig nur die These der cancel culture. Der Begriff wird als rechter Kampfbegriff diffamiert, die Protagonisten bemerken noch nicht einmal, dass sie ihn permanent selbst bestätigen.

2. „Das Winnetou-Kinderbuch sowie die Werke von Karl May stellen die „Indianer“ mit rassistischen und kolonialen Stereotypen dar und verharmlosen/verschweigen den Genozid an diesen.“

Die hier geäußerte Kritik am Beitrag richtet sich gegen den im Beitrag kritisierten, beiläufig erwähnten Rückzug des Winnetou-Kinderbuchs Ravensburger-Verlages wegen öffentlicher Kritik.
 Ein Karl-May-Leser kann angesichts der Kritik nur verwundert den Kopf schütteln, werden die „Indianer“ (ein Begriff übrigens, der anders als in Lateinamerika in der deutschen Sprache nicht abwertend gemeint ist) bei Karl May doch durchgehend positiv dargestellt, insbesondere deren Behandlung durch die weißen US-Amerikaner wird ständig kritisiert. Welche rassistischen oder kolonialen Stereotype das sein sollen, wird auch nicht näher begründet. Schlimmer noch, auf entsprechende Nachfragen wird das apodiktisch festgestellt und die Legitimität der Frage aufgrund der Hautfarbe des Fragenden bestritten. Rassistisch ist demnach, was eine „PoC“ (Person of Color) so bezeichnet, ein „Weißer“ hat nicht das Recht, das in Frage zu stellen (und sei es die Anforderung von Sprachkenntnissen an alle Bewerber gleichermaßen). Dass dieses Narrativ jeglicher Diskurskultur Hohn spricht, scheint man nicht zu bemerken, wirft den Kritikern lieber fehlende Moralität vor. 
Freilich muss konzediert werden, dass die Werke von Karl May die Verwendung von Stereotypen durchaus kennen, allerdings gehen diese meist zu Lasten von Franzosen oder Armeniern, letzteres ist vor dem Hintergrund des Genozids an diesen einige Jahre darauf unter deutscher Duldung besonders problematisch. Genauso konzediert werden muss, dass die „Indianer“ nicht historisch korrekt dargestellt werden, weder bei Karl May noch im Winnetou-Kinderbuch. Aber ist eine historisch ungenaue Darstellung bereits rassistisch? Historisch genau ist offenbar die Darstellung der Sioux in dem Kinofilm „Der mit dem Wolf tanzt“, worin unterscheidet sich die Darstellung so fundamental?
 Und dass Kinderbücher Stereotype verwenden (etwa dass man in Russland Wodka trinkt und in Deutschland Bier), ist üblich, ist es verwerflich? Dass die Kritiker Karl Mays seine Bücher meist nicht gelesen haben, ist offensichtlich, aber offenbar ist die Lektüre von Büchern eines „alten, weißen Mannes“ in entsprechenden Kreisen auch nicht zu erwarten, wenn man nicht die Lektüre gedruckter Bücher als Ausdruck der europäischen Errungenschaft des Buchdrucks ohnehin ablehnt.



3. „Die Auffassung, dass es auf das Argument ankommt, nicht auf die Person, hat den NS erst ermöglicht“

Diese steile These ist geradezu ahistorisch, für die Politisierung und Personalisierung des Rechts bietet der NS und seine Vertreter in der Jurisprudenz ein besonders abschreckendes Beispiel, so wurden Bücher jüdischer Autoren auch in der Rechtswissenschaft verbannt, nach jüdischen Autoren benannte Kommentare wurden umbenannt. Auffassungen jüdischer Autoren wurden verworfen, nicht etwa aus inhaltlichen Gründen, sondern wegen der Herkunft/Religion des Autors. Insgesamt ist diese Bewegung doch ein Paradebeispiel der cancel culture. Der Vorwurf ist deswegen besonders zynisch und widerwärtig, da er oft vor dem Hintergrund einer Bewegung erfolgt, die den Holocaust unter Hinweis auf koloniale Verbrechen und Genozide relativiert und dabei bewusst ausblendet, dass nicht etwa Widerstand gegen eine Besatzung Auslöser für jenen war, sondern die antisemitische Weltanschauung, die das Judentum für alles Böse verantwortlich macht. Dass aus dieser Richtung der Hass auf Israel oftmals kultiviert wird und dieses als koloniales Projekt dargestellt wird, wider die historischen Fakten, passt dann ins Bild.

4. „Der Boykottaufruf gegen den Beck-Verlag ist durch die Meinungsfreiheit gerechtfertigt, das ist durch die Blinkfüer-Entscheidung des BVerfG anerkannt.“

Ob der Boykottaufruf gegen den Beck-Verlag durch die Blinkfüer-Entscheidung gerechtfertigt ist, ist eine Frage, die einer Untersuchung wert ist. In der genannten Entscheidung (Beschluß vom 26. 2. 1969 – 1 BvR 619/63, NJW 1969, 1161) wurde ein Boykott einer Zeitschrift, der mit wirtschaftlichem Machtmitteln durchgesetzt werden sollte, als Verstoß gegen die Pressefreiheit angesehen. Ob daraus folgt, dass ein Boykott, der ohne wirtschaftliche Machtmittel durchgesetzt werden soll, stets zulässig ist, könnte untersucht werden.

Mit dem Beitrag hat diese Problematik aber nichts zu tun. Es wird darin nicht behauptet, der Boykottaufruf gefährde die Meinungsfreiheit, sondern die Meinungsvielfalt. Auch eine Bücherverbrennung ist rechtlich zulässig, sofern die Bücher im Eigentum des Täters stehen und sonstige Vorschriften, etwa des Naturschutzrechts, nicht verletzt werden. Hier liegt also ein Missverständnis vor, genauso wie im Vorwurf, man habe konsentierte Grenzen des Anwendungsbereichs von „Faschismus“ oder „Rassismus“ gesehen – zwischen den „Grenzen des konsentierten Anwendungsbereichs“ und den „konsentierten Grenzen des Anwendungsbereichs“ besteht ein erheblicher Unterschied. Aber Genauigkeit in der Lektüre scheint ebenfalls außer Mode zu sein.

Abschließend zeigt dieser Fall leider wieder einmal die Berechtigung des Beitrags. Anstatt eine Replik zu verfassen, wird der Abdruck des Beitrags per Mail kritisiert. Eine Debatte soll offenbar nicht geführt werden, missliebige Meinungen sollen aus dem Diskurs verschwinden. Eine gefährliche Tendenz, die sich auch irgendwann inhaltlich gegen die Protagonisten richten kann…

Prof. Dr. Christian F. Majer